Würth, Joseph Edler von (1817–1855), Rechtswissenschaftler und Politiker

Würth Joseph Edler von, Rechtswissenschaftler und Politiker. Geb. Wien, 16. 11. 1817; gest. ebd., 17. 1. 1855; röm.-kath. Enkel von Ignaz Edler v. W. (s. u.), Sohn des Silberschmieds Ignaz Adam Edler v. W. (1774–1823); ab 1845 verheiratet mit seiner Cousine Karoline Edle v. W., geb. Freiin v. Sacken (geb. 22. 8. 1820; gest. 9. 4. 1853). – W. absolv. 1832 das Akadem. Gymn. und stud. dann Phil. und Rechtswiss. (1834–38) an der Univ. Wien, wobei er sein rechtswiss. Stud. ohne Prom. abschloss; 1836 Dr. phil. 1838 unternahm er gem. mit →Andreas v. Ettingshausen und →August Kunzek v. Lichton sowie P. →Marian Koller eine Stud.reise nach England und Frankreich. Diese verfestigte seine schon während des Stud. entwickelten liberalen Ansichten. Ab 1839 Auskultant, legte W. 1841/42 die Richteramtsprüfung ab. 1845 zum Kriminalrichter in Wien ernannt, folgte sogleich die Abordnung an das Stadt- und Landrecht in Klagenfurt. Ab Ende 1847 arbeitete er als Ratsprotokoll-Adjunkt bei der Obersten Justizstelle in Wien. W. war 1840/41 Mitbegründer des jurid.-polit. Lesever. in Wien, eines späteren Zentrums der Revolution von 1848, ab 1841 auch Mitgl. des nö. Gewerbever. Gem. mit seinen Freunden →Alexander Frh. v. Bach und →Franz Philipp Frh. v. Sommaruga sah er in der Ver.tätigkeit einen Übungsplatz für die freie Rede und parlamentar. Taktik. Schon früh verfolgte W. Projekte um eine Reform des Strafprozesses und propagierte die Einführung moderner Verfahrensprinzipien (Öffentlichkeit, Mündlichkeit). 1842–43 unternahm er eine von offizieller Seite unterstützte neunmonatige Stud.reise, um das Gefängniswesen anderer Länder zu untersuchen. Seine umfangreiche Publ. darüber („Die neuesten Fortschritte des Gefängnißwesens in Frankreich, England, Schottland, Belgien und der Schweiz“, 1844) hatte großen Einfluss auf die Planung künftiger österr. Gefängnisbauten und begründete W.s Ruf als Strafrechts- und Strafvollzugsexperte. W. war auch ein früher Vertreter der Hist. Rechtsschule in Österr. Er forderte öff. Vorträge zu rechtshist. Themen und die Verankerung der Rechtsgeschichte als freies Fach im jurist. Stud. Im WS 1844/45 hielt er als Erster Vorlesungen zur österr. Strafrechtsgeschichte an der Univ. Wien. 1848 wurde W. als Abg. in die Dt. Nationalversmlg. nach Frankfurt entsandt, wo er zur liberalen Casino-Fraktion, dann zum Pariser Hof gehörte. Im Juli des Jahres wurde er Unterstaatssekr. und damit engster Mitarb. von Reichsminister →Anton v. Schmerling, kehrte aber nach der Entscheidung der Nationalversmlg. für die kleindt. Lösung im März 1849 wieder nach Österr. zurück. Als OLGR dem Justizmin. zugeteilt, erarbeitete er unter Justizminister Schmerling innerhalb kürzester Zeit die Strafprozessordnung von 1850 und verankerte darin die Prinzipien von Öffentlichkeit und Mündlichkeit. 1851 erschien dazu ein Kommentar, der viele hist. und rechtsvergleichende Bezüge aufwies. W. publ. ab 1840 auch immer wieder in jurist. Z. (u. a. „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“, „Der Jurist“, „Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung“). W.s Großvater, der Gold- und Silberschmied Ignaz Edler v. W. (geb. Wien, 21. 1. 1747; gest. ebd., 18. 1. 1834; röm.-kath.), war der Sohn des Silber- und Goldschmieds Franz Caspar Würth und Vater der Kunsthandwerker Franz Joseph Seraphin Edler v. W. (1773–1831) und Aloys Edler v. W. (1778–1833); ab 1770 verheiratet mit Barbara Stadler. Er lernte 1758–63 bei seinem Vater und bildete sich ab 1759 an der Wr. ABK fort; 1770 Meisterprüfung. I. d. F. erlangte er mit seinen Arbeiten einen ausgez. Ruf und erhielt von europ. Herrscherhäusern zahlreiche Aufträge für Tafelservices. Weiters fertigte er den in Silber ausgeführten k. Stammbaum (1769, Basilika Mariazell), sechs silberne Leuchter für das Gnadenbild der Madonna (1763, Sassin) und ein silbernes Service (1772). 1785 zählte er zu den Mitbegründern des Armen-Inst. bei St. Stephan, an dem er lange Jahre als Armenbez.dir. wirkte. 1809 übergab Ignaz v. W. den Betrieb an seinen Sohn Franz Joseph, 1827 erfolgte seine Erhebung in den Adelsstand.

Weitere W. (s. auch Pauser): Das Stadtrecht von Wr. Neustadt aus dem 13. Jh., 1846; Die österr. Strafprozeßordnung vom 17. Jänner 1850 ..., 1851. – Ignaz v. W.: Reliquienmonstranz, 1764 (Stephansdom, Wien); Ehrenpokale, 1793, 1797 (beide Wien Mus.); silberner Tafelaufsatz, 1807.
L.: ADB; Wurzbach; F. Hartl, in: Juristen in Österr., ed. W. Brauneder, 1987, S. 165ff.; H. Best – W. Weege, Biograph. Hdb. der Abg. der Frankfurter Nationalversmlg. 1848/49, 1998; N. Grass, in: Wiss.geschichte in Lebensläufen, ed. L. Carlen, 2001, S. 46ff.; J. Pauser, in: Strafrechtsgeschichte im „langen“ 19. Jh., 2020, S. 121ff. (m. B. u. W.); J. v. W., Tagebuch 1839–44 (Privatarchiv J. Pauser, Wien); Pfarre St. Stephan, UA, beide Wien. – Ignaz v. W.: Thieme–Becker; Wurzbach; G. Breisach, in: 650 Jahre Gold- und Silberschmiede, 2016; ABK, Pfarre Lichtental, beide Wien.
(J. Pauser – Ch. Gruber)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 360f.
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