Wurzbach von Tannenberg, Constant (Constantin) Ritter; Ps. W. Constant, Friedrich Seebach (1818–1893), Lexikograph, Schriftsteller, Bibliograph und Bibliothekar

Wurzbach von Tannenberg Constant (Constantin) Ritter, Ps. W. Constant, Friedrich Seebach, Lexikograph, Schriftsteller, Bibliograph und Bibliothekar. Geb. Laibach, Kg.reich Illyrien (Ljubljana, SLO), 11. 4. 1818; gest. Berchtesgaden, Dt. Reich (D), 18. 8. 1893; röm.-kath. Sohn von Maximilian W. Edler v. T. (geb. Laibach, 18. 11. 1781; gest. ebd., 7. 12. 1854) und Josefina W. Edle v. T., geb. Pinter (geb. Laibach, 17. 3. 1789; gest. ebd., 19. 12. 1881), Bruder u. a. von →Karl Borromeus W. Frh. v. T., Vater von →Alfred W. Ritter v. T. und →Theodore W. Edle v. T.; ab 1843 mit Antonie W. Edle v. T., geb. Hinzinger (geb. 1814; gest. Wien, 11. 6. 1873), ab 1874 in 2. Ehe mit Karola (Caroline) W. Edle v. T., geb. Varga (geb. Guntramsdorf, NÖ, 26. 8. 1851; gest. Berchtesgaden, Dt. Reich/D, 1944), verheiratet. – W. stud. 1835–37 an der Univ. Graz Jus, trat jedoch anschließend in das damals in Krakau stationierte IR Nr. 30 ein, wo er bis zum Unterlt. (1841) aufrückte. Im selben Jahr nach Lemberg versetzt, wurde er 1843 an der dortigen Univ. (mit Thesen aus der „psychischen Anthropologie“, der Weltgeschichte und der Ästhetik) zum Dr. phil. prom. Bald darauf quittierte er den Militärdienst, um die Stelle eines Skriptors an der Lemberger Univ.bibl. anzutreten. Seine in Lemberg angeknüpften literar. Kontakte und zeit seines Lebens ausgeprägten schriftsteller. und dichter. Ambitionen schlugen sich schon damals in Lustspielen, Lyrik, ep. Versdichtungen, Übers. aus dem Poln. und (oft aggressiv-polem.) Theaterrezensionen nieder. Für W.s weiteren Lebensweg entscheidend war der Kontakt mit →Franz Ser. Gf. v. Stadion-Warthausen, der ihn mit amtl. publizist. Tätigkeiten (zunächst in Lemberg, dann in Olmütz und Kremsier) betraute und im Revolutionsjahr 1848 in polit. Mission nach Wien sandte. 1849 zum Vorstand der Administrativen Bibl. des Min. des Innern ernannt, bekleidete er diesen Posten bis 1874 aktiv und bis zu seiner Pensionierung 1891 nominell (ab 1881 als Reg.Rat). In dieser Eigenschaft klassifizierte er, seiner ausgeprägten Gabe für Systematik entsprechend, nahezu 50.000 Druckerzeugnisse und veröff. seine Ergebnisse in bibliograph. Publ.-Reihen, von denen die 1853–55 erschienene „Bibliographisch-statistische Übersicht der Literatur des östreichischen Kaiserstaates“ die Literaturstatistik in Österr. begründete und auf internationalen statist. Kongressen als bahnbrechend anerkannt wurde. Weit über alle diese Aktivitäten hinausgehend, hat W. aber mit seinem „Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich“ sein eigentl., monumentales Lebenswerk geschaffen, dessen 1. Tl. 1856 erschien und das ab 1858 bis zu seiner Vollendung von der k. Akad. der Wiss. in Wien subventioniert wurde – wenn auch unter immer wiederkehrender Kritik seitens einiger Begutachter an dessen langsamem Fortgang und deren Vorurteil gegenüber der Wissenschaftlichkeit biograph. Forschung. 1874 wurde W. für die Arbeit am Lex. freigestellt, das er – mittlerweile aus persönl. Gekränktheit über die seiner Meinung nach in Österr. mangelnde Resonanz seiner Arbeit nach Berchtesgaden übersiedelt – 1891 mit dem 60. Tl. beenden konnte. W.s nach eigener Aussage von ihm „ganz allein“ verf. Nachschlagewerk umfasst insgesamt 24.254 Biographien, davon 21.406 von in den Kronländern Geborenen. Der Berichtszeitraum des Werks war zunächst mit 1750 und 1850 eingegrenzt, wurde jedoch bald auf noch lebende Personen erweitert. Sehr fortschrittl. für ihre Zeit waren die nach Geburtsländern und „Ständen“ (insgesamt 41 Rubriken) gegliederten Namensreg. am Ende jedes Tl. und die auch 1.336 „Frauen“ umfassende Gesamtstatistik am Ende des letzten. W. wollte mit seinem aus eigener Initiative und persönl. Überzeugung begonnenen und mit größter Beharrlichkeit zu Ende geführten Lex. ein biograph. Abbild der Habsburger-Monarchie vermitteln, wie er sie, entschiedener Zentralist und unbedingter Anhänger der Dynastie, in ihrer Form als konstitutionelle Monarchie als Ideal eines Einheitsstaats sah. Diese auch von persönl. Vorurteilen nicht freie Einstellung wurde bereits von seinen Zeitgenossen bemängelt, seine method. Vorgangsweise (vorwiegend Sammler und Kompilator, folgte er aufgrund des von ihm erschlossenen Materials meist seiner subjektiven Einschätzung) ist stets zu hinterfragen. Trotzdem ist „der Wurzbach“ mit seiner unerreichten Vollständigkeit in der Ausschöpfung der gedruckten Literatur, seinem Fundus an schriftl. und mündl. Zeitzeugnissen, nicht zuletzt auch wegen des universalen Blicks seines vielsprachigen Verf. auf die Kronländer der Habsburger-Monarchie eines der bis heute unverzichtbaren Fundamente der österr. biograph. Geschichtsforschung geblieben. W. erhielt 1862 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1874 den Orden der Eisernen Krone III. Kl. und wurde im selben Jahr in den österr. Ritterstand erhoben.

Weitere W. (s. auch Wurzbach): Die Volkslieder der Polen und Ruthenen, 1846; Die Sprichwörter der Polen und Ruthenen, 1846; Bibliograph. Central-Organ des österr. Kaiserstaates 1–2, 1859/60; Joseph Haydn und sein Bruder Michael, 1862; Mozart-Buch, 1869; Theaterkritiken in Krakauer, Lemberger (Lesebll., 1841–47) und Wr. Ztg. und Z. (Wr. Allg. Theaterztg.; Der Humorist); Ged.smlgg., u. a. Cyclamen, 1873. – Teilnachlass: Wienbibl. im Rathaus, Wien.
L.: ADB; MGG II; Nagl-Zeidler-Castle; A. Bettelheim, in: NÖB 1, 1923, 4, 1924; SBL; Wurzbach (m. W.); A. Thürheim, FML C. J. Fürst de Ligne, 1877, S. 297ff.; J. Got, in: O teatrze i dramacie, 1989, S. 79ff.; E. Lebensaft – H. Reitterer, in: Wr. Geschichtsbll. 47, 1992, H. 1, S. 32ff.; A. v. Wurzbach, in: Ostdt. Familienkde. 40/41, 1993, S. 231ff.; J. Got, Das österr. Theater in Lemberg im 18. und 19. Jh. 1–2, 1997, s. Reg.; M. Rugále – M. Preinfalk, Blagoslovljeni in prekleti 1, 2010, S. 203ff.; N. Mengel, in: Europa baut auf Biographien, ed. Á. Z. Bernád u. a., 2017, S. 23ff.
(H. Reitterer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 377f.
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