Ybl, Miklós (Nicolaus) (1814–1891), Architekt

Ybl Miklós (Nicolaus), Architekt. Geb. Stuhlweißenburg (Székesfehérvár, H), 6. 4. 1814; gest. Budapest (H), 22. 1. 1891; röm.-kath. Sohn des Kaufmanns Miklós (Nicolaus) Y. (1780–1861) und von Anna Y., geb. Eiman, Vater des Juristen Felix Y. (geb. Pest/Budapest, H, 15. 1. 1864; gest. Budapest, 20. 10. 1922), Onkel von Lajos Y. (s. u.), Großonkel des Kunsthistorikers Ervin Y. (geb. Budapest, 14. 1. 1890; gest. ebd., 11. 8. 1965), der die erste Monographie über Y. verf.; verheiratet mit Ida Y., geb. Lafite (1820–1891). – Nach dem Gymn. besuchte Y. 1826/27 die Realschule am polytechn. Inst. sowie 1828–31 das polytechn. Inst. in Wien und bewarb sich im Anschluss daran erfolglos um eine Stelle bei der Landesbaudion. in Ofen. Nach einer Lehre bei →Mihály Pollack in Pest (1832 Geselle) arbeitete er 1832–36 als Zeichner in dessen Büro. 1836–40 war er im Baubüro →Heinrich Kochs beschäftigt, u. a. fungierte er zu dieser Zeit als Bauleiter bei der Errichtung des Palais Kinsky in Prag. 1840 stud. Y. an der ABK in München und schloss die Ausbildung 1841 mit einer dreimonatigen Reise nach Norditalien ab. Nach seiner Rückkehr begründete er im selben Jahr mit Ágoston Pollack, dem Sohn von Mihály Pollack, ein Baubüro, das jedoch mangels größerer Aufträge nicht reüssierte. Mit Á. Pollack realisierte er den kompletten Umbau des Batthyány-Schlosses in Ikervár (1846–47) im Geist des Berlin-Potsdamer Villenbaus. 1843 kam Y. in Kontakt mit der Familie der Gf. Károlyi, ab 1847 stand er für Jahrzehnte offiziell in deren Dienst und wurde von ihr erfolgreich in seiner Karriere unterstützt. 1845 beauftragte ihn →István Gf. Károlyi mit dem Bau der die Familiengruft beinhaltenden Pfarrkirche in Fót. Die Kirche, deren Ausführung von der Ludwigskirche und der Basilika St. Bonifaz in München beeinflusst wurde und erst 1855 zur Vollendung kam, ist ein Hauptbeispiel der ung. und europ. Romantik. 1846 bereiste Y. neuerl. Italien und hielt sich mit finanzieller Unterstützung von Gf. Károlyi in Neapel auf. In den 1850er-Jahren baute er seine ersten Wohnhäuser bzw. Landschlösser für Pester Bürger und Aristokraten. Ab ca. 1860 wandte er sich der Neorenaissance zu und avancierte zum bedeutendsten und bahnbrechenden Architekten in Ungarn. 1861 verfertigte er einen Entwurf im Neorenaissance-Stil für den Sitz der MTA, den er aber bereits einen Tag nach der Einreichung zurückzog. I. d. F. war er jedoch (gem. mit →Antal Szkalnitzky) 1862–65 für die Ausführung des vom Berliner Architekten Friedrich August Stüler entworfenen Palais verantwortl. In den darauffolgenden Jahrzehnten erhielt er zahlreiche und wichtige Aufträge für unterschiedl. Bereiche: Wohnhäuser, Privatpalais in Pest bzw. Budapest, öff. Bauten aller Art, Kirchen, Schlösser usw. 1865 wurde das prov. AH nach seinen Plänen errichtet sowie ab 1867 der Gebäudekomplex, inklusive des Margaretenbads (1868–70, zerstört), auf der Margareteninsel. Das Hauptzollamt (1870–74), das Züge der Wr. Ringstraßenarchitektur aufweist, war der erste monumentale öff. Bau nach der Zusammenlegung von Pest und Buda. 1867 übernahm er den Bau der Leopoldstädter Pfarrkirche (begonnen 1851 von →Josef Hild). Im Folgejahr stürzte das Gebäude jedoch ein und Y. musste unter Verwendung der stehengebliebenen Hauptmauern fortfahren. Nach mehreren Planänderungen wurde der Bau 1876 unter Beibehaltung seiner klassizist. Hauptcharakteristika, jedoch mit einer dynamischeren Massenanordnung, fortgesetzt. Nach seinem Tod benannte man die Kirche in St. Stephans-Basilika um; sie wurde unter der Leitung von →József Kauser 1905 vollendet. Weiters bereitete Y. die Anlage der prachtvollen Andrássy-Straße vor und erbaute nach einem Wettbewerb und zahlreichen Entwurfsänderungen 1875–84 die Budapester Oper, ein Hauptwerk der Neorenaissance in Europa. Nach seinen Plänen wurde 1875 auch mit der Erneuerung und Erweiterung der Budapester Burg begonnen, zunächst mit dem sog. Kiosk und dem Gartenbasar, dann mit dem neuen Flügel in Richtung Krisztinaváros. Nach seinem Tod setzte Alajos Hauszmann die Erweiterung fort. In Y.s Büro arbeiteten u. a. Béla Ney, →Albert Schickedanz, Gyula Bukovics und Henrik Schmahl. Y. war ab 1866 w. M. der Wr. ABK, Vize-Präs. des Ung. Ing.- und Architekten-Ver. (1867), Mitgl. des Hauptstädt. Baurats und des Munizipal-Ausschusses sowie Magnatenhaus-Mitgl. (ab 1885). Er wurde Ritter des Franz Joseph-Ordens (1865) sowie des Leopold-Ordens (1882) und erhielt die Medaille Pro litteris et artibus (1890). Y.s Neffe, der Architekt Lajos Y. (geb. Pest, 25. 9. 1855; gest. Budapest, 24. 1. 1934), stud. bis 1874 an der TU Budapest, 1874/75 an der TH in Wien sowie in Stuttgart. Er arbeitete zuerst bei seinem Onkel und entwarf i. d. F. u. a. das Rathaus in Hódmezővásárhely sowie 1894 das neue Stadtkonzept für Temesvár. Ab 1895 wirkte er als Burghptm. des Königsschlosses in Budapest.

Weitere W.: Unger-Haus, 1852 (Pest); Nemzeti Lovarda, 1857–58 (Pest, zerstört); Ofener Sparkasse, 1860–62 (Buda, zerstört); Pfarrkirche, 1860–64 (Nagycenk); Evang. Kirche, 1862–63 (Kecskemét); Ganz-Haus, 1862–64 (Pest, zerstört); Palais Festetics, 1862–65 (Pest); Palais Károlyi, 1863 (Pest); Pfarrkirche von Franzstadt, 1865–79 (Budapest); Schloss Wenckheim, 1875–79 (Szabadkígyós); Schloss Károlyi, 1880–82 (Parádsasvár).
L.: Pester Lloyd, 23. 1. 1891; M. Életr. Lex. (m. B.); Művészeti Lex. II; Szinnyei; Thieme–Becker; Wurzbach; E. Kornhoffer, in: Bauztg. für Ungarn 36, 1882, S. 227ff.; I. Kiss, in: Az Építési Ipar 6, 1882, S. 409f.; Allg. Bauztg. 56, 1891, S. 31 (m. B.); Allg. Kunst-Chronik 15, 1891, S. 67; E. Ybl, Y. M., 1956; Y. M. építész 1814–1891, Budapest 1991 (Kat.); Y. M., ed. J. Gerle – K. Marótzy, 2002; A modern reneszánsz derült idomai, ed. V. Hidvégi – P. Ritoók, 2014; Ybl-épületsorsok az Unger-háztól a Kálvin térig, ed. V. Hidvégi – K. Marótzy, 2014; P. Ritoók – J. Sisa, in: Acta Historiae Artium 55, 2014, S. 105ff.; Cs. Halász u. a., Y. összes, 2. Aufl. 2015; Motherland and Progress, ed. J. Sisa, 2016, s. Reg.; Kulturportal West – Ost (online, m. B., Zugriff 29. 9. 2020); TU, Wien.
(J. Sisa)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 386f.
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