Zalai, Béla (1882–1915), Philosoph

Zalai Béla, Philosoph. Geb. Debreczin (Debrecen, H), 30. 8. 1882; gest. Omsk (RUS), 2. 2. 1915; evang. HB. Sohn des Lehrers Márk Z. und der Laura Bassó; 1905–08 mit der Literaturhistorikerin Elza Neumann (gest. 1908), in 2. Ehe mit der Photographin Olga Máté verheiratet. – Z. absolv. das ref. Gymn. in Debreczin, danach stud. er in Klausenburg Mathematik, Physik und Phil. sowie an der Budapester Univ. ebenfalls Phil. Zwischen 1902 und 1905 besuchte er wiederholt die Univ. Paris und Leipzig, wo er z. B. Wilhelm Wundt hörte. Z. war der wohl originellste, jedenfalls konsequenteste und rigoroseste ung. Philosoph der ersten Jahrzehnte nach 1900, dessen Laufbahn durch seinen frühen Tod in einem Kriegsgefangenenlager abgebrochen wurde. Er wurde v. a. vom Neokantianismus geprägt (von Namen wie Emil Lask und Ernst Cassirer vertreten), mit dem Gedanken von der Autonomie der verschiedenen kulturellen, ideenhaften Objektivationen. Z. trachtete den neokantian. Horizont in ein transzendentalphil. Format mit starkem symboltheoret. und semant. Aspekt zu übers. bzw. in diesem zu begründen. Diesen Anspruch hatte er bereits in verschiedenen Aufsätzen einzulösen versucht, wie z. B. „Metaphysik als symbolische Summation perseverierender Bedürfnisse“ (1905), oder in seiner Diss. „Das Zusammenhangssystem der unmittelbaren Erfahrung“ (1906). Seine übergreifendste Ausformulierung erfuhr dieses theoret. Konzept in der „Allgemeinen Theorie der Systeme“ (1913–14, ed. Béla Bacsó, 1982). Z. hat hier das neokantian. Konzept am gründlichsten in den Begriff des „Systems“ gedankl. zu transformieren versucht. „System“ bedeutet bei ihm sowohl Sphäre wie Objektivation bzw. symbolhaften (gar medialen) Ausdruck, ja ein Geschehen des Denkens als system., zugleich nicht restlos antizipierbarer Applikation. Das Denken der „Systeme“ wird sprachphil. gewendet, die Sprache selbst erscheint als ein system. Medium. Diese Begriffsarbeit nahm Konsequenzen des Perspektivismus eines Friedrich Nietzsche auf. Z.s Reformulierung und Neubegründung der neokantian. Konzeption trägt somit auch – vermutl. wieder nach Nietzsche, etwa nach seiner Auffassung von der „plastischen Kraft“ („Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“) – stark temporalisierende Züge, was eine gewisse Offenheit der „Systeme“ zur Folge hat. Dieser Begriff verabschiedete bei ihm also die Auffassung des Systems als eines Ganzen aus dem 19. Jh. im Zeichen des Modernen. Z. hat damit die spätere Konzeptualisierung des „Systems“ auf dem Weg einer indirekten Wirkungsgeschichte beeinflusst (etwa Ludwig v. Bertalanffy), seine Wirkung in Ungarn war äußerst vielfältig und interdisziplinär (der Begriff des Systems wurde in der Kunsttheorie bei Lajos Fülep und Arnold Hauser, in der Theorie des Bewusstseins bei Wilhelm Szilasi, in der Erkenntnistheorie bei Karl Mannheim und in der Theorie der Interpretation bei Béla Fogarasi umgesetzt). Einige der letztgenannten Autoren waren auch Z.s Bekannte im berühmten Budapester Sonntagskreis, dessen anderes wichtiges phil. Mitgl. Georg Lukács war. Sie gaben zusammen die Z. „A Szellem“ heraus (1911). Führende Vertreter der damaligen ung. Literatur, v. a. Mihály Babits und Dezső Kosztolányi, schätzten Z. gleichfalls hoch, seine Meinung war für sie gerade auch in literar. Angelegenheiten maßgebl.

Weitere W.: A rendszerek általános elmélete. Összegyűjtött írások, 1984.
L.: B. Smith, in: Brentano Stud. 5, 1994, S. 59ff.; Cs. Lőrincz, in: Wissen – Vermittlung – Moderne. Stud. zu den ung. Geistes- und Kulturwiss. um 1900, ed. Cs. Lőrincz, 2016, S. 113ff.; H. Halász, ebd., S. 179ff.
(Cs. Lőrincz)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 417f.
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