Zallinger zum Thurn, Franz Seraph (Seraphin) von (1743–1828), Physiker, Mathematiker und Priester

Zallinger zum Thurn Franz Seraph (Seraphin) von SJ, Physiker, Mathematiker und Priester. Geb. Bozen, Tirol (Bolzano/Bozen, I), 14. 2. 1743; gest. Innsbruck (Tirol), 2. 10. 1828; röm.-kath. Sohn des mehrere Jahre als Magistratsrat und Bgm. von Bozen wirkenden Handelsmanns Peter Anton v. Z. z. T. (gest. 12. 3. 1767) und von Katharina Justina v. Z. z. T., geb. Mayrl, Bruder u. a. von Johann Baptist v. Z. z. T. SJ (1731–1785) und Jakob Anton v. Z. z. T. SJ (1735–1813), die ebenfalls eine wiss. Laufbahn einschlugen. – Z. wurde 1752–54 wie seine Brüder vom Geistlichen Michael Schöpfer in Sterzing unterrichtet und besuchte dann vier Jahre das Gymn. in Hall in Tirol. Ab 1759 hörte er Phil. in Trient und trat 1760 in Landsberg in Bayern in die Ges. Jesu ein. 1762 legte er seine 1. Ordensprofess. ab. An der Univ. in Ingolstadt stud. er 1762–65 phil. Wiss., bes. Logik, Physik und Mathematik. 1766–67 wirkte er als Lehrer der ersten Grammatik am Gymn. in Trient und als Präses der latein. Kongregation. 1768 unterrichtete Z. Rhetorik an einem Gymn. in München, wo Johann Michael Sailer SJ zu seinen Schülern zählte. Danach begann Z. ein Theol.stud. an der Hochschule in Ingolstadt, beschäftigte sich aber weiter mit Mathematik und Physik und stud. bei dem Mathematiker Caesarius Amman SJ, mit dem er später auch korrespondierte. 1773 erhielt er in Eichstädt die Priesterweihe, es folgte die 2. Profess. Nach der Aufhebung des Ordens kehrte Z. nach Tirol zurück, wurde im Oktober 1773 zum Prof. der ersten Rhetorik am Gymn. in Innsbruck ernannt und stieg 1774 zum Prof. der zweiten Rhetorik auf. Zudem fungierte er als Präses der Gymn.kongregation und als Gymn.präfekt. 1775 Adjunkt der Mathematik an der Univ. Innsbruck, übernahm er die physikal. Experimentalvorlesungen Ignaz v. Weinharts; 1775 Dr. phil. 1777 wurde Z. als Nachfolger seines Bruders Jakob zum Prof. der Physik ebd. ernannt und unterrichtete auch Naturgeschichte und Mineral. 1780–99 hatte er als Nachfolger Weinharts die Lehrkanzel für Mathematik inne. Dort lehrte er prakt. Arithmetik, bürgerl. und Militärbaukunst, Mechanik, Hydrotechnik, prakt. Geometrie, Optik, prakt. Astronomie, Gnomonik und Chronol.; 1782 und 1801 Dekan der phil. Fak., 1789 Rektor. 1799 kehrte Z. auf die Lehrkanzel für Physik zurück, 1815 trat er i. d. R. Zu seinen Schülern zählten u. a. der Botaniker Stephan Prantner, →Josef Duile, sein späterer Kollege →Andreas v. Mersi, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, sowie der Mathematiker Joseph Stapf. Sogar Karl Theodor Fürst z. Hohenlohe-Bartenstein kam nach Innsbruck, um bei Z. Privatunterricht zu nehmen. Unentgeltl. bildete Z. auch etwa 50 Landvermesser aus. Zu seinen wiss. Korrespondenzpartnern zählten u. a. die Astronomen Maximilian Hell und →Franz de Paula Triesnecker. Z. beschäftigte sich v. a. mit angewandter Mathematik, mit theoret. und Experimentalphysik und trat bes. auf den Gebieten der Meteorol., der Kartographie und Geodäsie, der Mechanik und der Hydrol. hervor, interessierte sich aber auch für Technik. 1781 führte er um den Amraser See eine Nivellierung durch, 1787 übernahm er die Leitung der in Vorderösterr. erfolgenden kartograph. Arbeiten, bei denen er bereits ab 1786 Weinhart unterstützt hatte. Diese mussten 1794 aufgrund der napoleon. Kriege eingestellt werden. Seine Diss. „De caussis et remediis inundationum in Tyroli“, 1778 (dt. 1779), in der er einen indirekt proportionalen Zusammenhang zwischen Bewaldung und dem Auftreten von Hochwassern aufzeigte, gilt als die erste wiss. Arbeit über alpinen Hochwasserschutz und Erosionsbekämpfung durch ingenieurbiolog. Bauweisen. Über seine mit dem im Zillertal aufgefundenen Turmalin durchgeführten Experimente berichtete er in der „Abhandlung von der Elektricität des in Tyrol gefundenen Turmalins“ (1779). Im selben Jahr veröff. er seine ebenfalls auf Experimenten fußende „Abhandlung von den elektrischen Grundsätzen“ (2. Aufl. „Abhandlung von den Grundsätzen der Elektricität“, 1801). Erwähnenswert sind zudem seine Lehrbücher „Praelectiones ex mathesi pura et adplicata“, 2 Bde., 1793, „Praelectiones ex physica theoretica et experimentali“, 1805, und „Praelectiones ex mathesi elementari“, 1808. Seine 1777–1828 tägl. vorgenommenen Aufzeichnungen erschienen posthum als „Innsbrucker meteorologische Beobachtungen von fünfzig Jahren …“ (1833) und sind heute noch von großer Bedeutung. Seine astronom. Forschungen legte er in „Observationes astronomicae et meteorologicae“ (1782) dar, wobei er den Nutzen von Blitzableitern bewies, die man damals auch in Tirol anzubringen begann. Zudem erstellte er ein im UA Innsbruck erhaltenes Verzeichnis des Inventars des Mathemat.-physikal. Kabinetts, über das er die Aufsicht hatte und für das er immer wieder Geräte, insbes. betreffend Elektrizität, anschaffte. In einem Gutachten über die angebl. Erscheinung eines Madonnenbilds in einer Fensterscheibe in Absam (in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 3, 1808) bekundete er Skepsis gegenüber dieser ab 1797 auftretenden Manifestation von Volksfrömmigkeit und lieferte eine rein physikal. Erklärung. Seine Bibl. und Hss. vermachte er u. a. dem Kapuzinerkloster, dem Tiroler Landesmus. Ferdinandeum und dem Ursulinenkloster (alle Innsbruck). 1813 erhielt er den Titel eines kgl. geistl. Rats, 1815 die große goldene Verdienstmedaille mit der goldenen Kette sowie im selben Jahr das von der Kirche nicht anerkannte Ehrenkanonikat der Kathedrale von Trient. Ab 1815 Ehrenmitgl. der Accad. degli Agiati in Roveredo, war er weiters Mitgl. des Ausschusses des Ferdinandeums sowie der tirol. Ges. des Ackerbaues und nützl. Künste.

Weitere W.: s. Poggendorff; Sommervogel; Wurzbach; Attlmayr.
L.: Bote für Tirol, 6. 1. 1816, 5., 9. 2. 1829; Innsbrucker Nachrichten, 7. 2. 1928; LThK; Poggendorff 2 (m. W.); Sommervogel (m. W.); Wurzbach (m. W.); J. Probst, Geschichte der Univ. in Innsbruck ..., 1869, passim; S. Günther, in: Bibliotheca mathematice 3, 1902, S. 208ff.; M. Brandl, Die Theol. Fak. Innsbruck 1773–90 ..., 1969, S. 38, 51; E. Attlmayr, in: Beitrr. zur Technikgeschichte Tirols 1, 1970, H. 2, S. 36ff. (m. W.); Die Fächer Mathematik, Physik und Chemie an der Phil. Fak. zu Innsbruck bis 1945, ed. F. Huter, 1971, s. Reg.; H. Aulitzky, 100 Jahre Wildbachverbauung in Österr. 1884–1984, 1984, S. 13 (m. B.), 15; W. Konold, Hist. Wasserwirtschaft im Alpenraum und an der Donau, 1994, S. 174, 204f. (m. B.); F. Schaffenrath – S. Tilg, in: Der Schlern 78, 2004, H. 6, S. 63; E. Kustatscher, ebd. 81, 2007, H. 4, S. 26ff.; W. Hager, Hydraulicians in Europe 1800–2000, 2/2, 2009, S. 829 (m. B.); UA, Innsbruck, Tirol; UA, München, D.
(M. Pesditschek)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 424f.
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