Ziehrer, Carl Michael; eigentl. Michael (1843–1922), Komponist und Kapellmeister

Ziehrer Carl Michael, eigentl. Michael, Komponist und Kapellmeister. Geb. Wien, 2. 5. 1843; gest. ebd., 14. 11. 1922 (Ehrengrab: Zentralfriedhof); röm.-kath. Sohn des bürgerl. Hutmachermeisters Carl Borromäus Z. und dessen Frau Anna, geb. Hauer; ab 1888 mit der aus Linz stammenden Chanson- und Operettensängerin Marianne Edelmann, eigentl. Maria Laura Münk, verheiratet. – Ab 1856 erlernte Z. bei seinem Vater das Hutmacherhandwerk und wurde 1860 zum Gesellen freigesprochen. Nach Klavierunterricht bei Bernhard Spineder und musiktheoret. Stud. bei Johann Emerich Hasel erlangte er 1863 vom Wr. Magistrat die Erlaubnis zu öff. Auftreten. Hasel als kompositor. „Ghostwriter“ und der Wr. Musikverleger Carl Haslinger ermöglichten Z.s Debüt mit einem aus 40 Musikern bestehenden Orchester im Dianabad-Saal in Wien im November 1863. Von da an verwendete Z. zusätzl. den Vornamen seines Vaters, als Dank für die Finanzierung seiner Karriere. Die Debütkompositionen erschienen bereits im Dezember jenes Jahres und im Jänner des folgenden bei Haslinger im Druck. Mit dem Engagement Z.s war es zur Vertragsauflösung Haslingers mit den Brüdern Strauß gekommen. Hasel unterstützte Z. noch weitere Jahre hindurch bei der Komposition und stellte ihm auch eigene Werke zur Auff. und Veröff. zur Verfügung, bevor er sich später von ihm wegen dessen „derber“ Kompositionsweise distanzierte und sogar eine Ouvertüre zurückverlangte, die er dann seiner Oper „Fiammina“ voransetzte. Anfangs leitete Z. bei öff. Auff. nur die Tanzmusik, wohingegen Hasel das anspruchsvollere „klassische“ Repertoire dirigierte. Nach Hasels Tod (1900) kam es 1904 zu einem von seiner Witwe angestrengten Urheberrechtsprozess vor dem Bez.gericht Wien-Leopoldstadt, nachdem →Karl Kraus bereits 1902 in der „Fackel“ die Mitautorschaft Hasels an Werken Z.s publik gemacht hatte. Auch in späteren Schaffensperioden hatte der Komponist musikal. Helfer, wie es damals verbreitete Praxis war und wie die in der Wienbibl. im Rathaus (Wien) aufbewahrten Partituren – insbes. von Operetten Z.s – bestätigen. Vom Militärdienst befreit, trat Z. ab Ende 1863 mit eigenem Orchester als Komponist und Interpret von Tanzmusik auf. Erste Konzertreisen führten ihn nach Graz (1867) und Pest (1869). 1870–73 leitete er die Musikkapelle des IR Nr. 55 und veranstaltete beliebte Promenade-Konzerte, in deren Rahmen er 1871 Opernabende einführte. Anlässl. der Wr. Weltausst. 1873 organisierte Z. ein eigenes ziviles Orchester, mit dem er 1874 seine erste Dtld.-Tournee unternahm. Im Dezember 1873 erschien mit der Polka Mazurka „La Brunette“ seine letzte Komposition im Verlag Haslinger. Ab 1874 gab Z. die „Deutsche Musik-Zeitung“ heraus, in der er u. a. die Klavierausg. seiner nächsten Werke veröff. Im selben Jahr erwarb er auch die von →Leopold Alexander Zellner gegr. „Blätter für Theater, Musik und Kunst“ sowie das Kunstjournal „Deutsche Schaubühne“. Ab 1875 Kapellmeister der Musikapelle des IR Nr. 76, übernahm er 1876 das zu ihm übergelaufene Orchester von →Eduard Strauß. Im Zuge einer viermonatigen Kunstreise 1879 nach Bukarest wurde Z. zum kgl.-rumän. Hofkapellmeister ernannt. Seine Konzerttätigkeit im Ausland (Berlin, St. Petersburg, Breslau, München, Hamburg etc.) trug ihm internationales Ansehen ein. Ab 1885 leitete er die Kapelle des IR Nr. 4 („Hoch- und Deutschmeister“), bis er 1893 nach erfolgreichen Konzerten bei der Weltausst. in Chicago aus dem Militärverband schied, weil er wiederholt um Urlaubsverlängerung zur Fortsetzung der Tournee angesucht hatte. Mit einer „Chicago-Konzert-Kapelle“ unternahm er 1894 eine ausgedehnte Kunstreise durch Dtld., der Tourneen nach London (1895), Aussig, Dresden, Budapest (1896) und eine weitere durch Dtld. (1897) folgten. 1896–1903 veranstaltete er sog. Concert-Akad. im Wr. Ronacher. Neben →Franz Lehár, →Richard Strauss, →Oskar Nedbal, →Richard Heuberger und anderen prominenten Musikern dirigierte er 1902 das „Riesen-Orchester“ mit ca. 120 Musikern im Vergnügungsetablissement Venedig in Wien. Wiewohl Z. ab 1872 mehr oder weniger erfolgreich auf den Operettenbühnen Wiens vertreten war, gelang ihm der Durchbruch in diesem Genre erst 1898 mit der Operette „Der schöne Rigo“, uraufgef. in Venedig in Wien. Die Operette „Die Landstreicher“, ein Jahr später ebd. auf die Bühne gebracht, erzielte über 1.600 Auff. Der Melodie des darin enthaltenen Refrains zum Lied „Wenn im Lenz die jungen Rosen“, Nr. 11, Finale, „Sei gepriesen, du lauschige Nacht“, liegt die erste Melodie des Walzers „Spiralen“ von →Johann Strauß (Sohn) zugrunde, wohl eine Hommage an den in jenem Jahr verstorbenen Kollegen. Es folgte bis 1916 jährl. eine neue Operettenproduktion Z.s, der nunmehr als Bühnenkomponist dieselben großen Erfolge erzielte wie mit seiner Tanzmusik und als Militärkapellmeister. 1908 wurde ihm nach Johann Strauß (Vater), Johann Strauß (Sohn) und Eduard Strauß als letztem Musiker der Titel eines k. k. Hofballmusik-Dir. verliehen. Z. war Freimaurer und wurde 1892 in die Loge Treue in Pressburg aufgenommen.

Weitere W. (s. auch MGG II; Schönherr, 1974; Diamond): 29 Bühnenwerke; Tänze und Märsche (566 mit, über 200 ohne Opuszahl): Weana Mad’ln, Wr. Bürger, Schönfeld-Marsch.
L.: Die Fackel, s. Reg.; MGG II (m. W.); H. Jäger-Sunstenau, in: Wr. Schriften 22, 1965; M. Schönherr, C. M. Z., 1974 (m. B. u. W.); M. Schönherr, Lanner – Strauss – Z. Synopt. Hdb. der Tänze und Märsche, 1982; H. Kretschmer, Wr. Musikergedenkstätten, 2. Aufl. 1990; N. Rubey – P. Schoenwald, Venedig in Wien, 1996, s. Reg.; J. Diamond, C. M. Z. From Gold to Silver. His life and musical works, 2021 (m. B. u. W.); Pfarre Schottenfeld, Wien.
(N. Rubey)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 526ff.
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