Zifferer, Paul (1879–1929), Journalist und Schriftsteller

Zifferer Paul, Journalist und Schriftsteller. Geb. Bistritz am Hostein, Mähren (Bystřice pod Hostýnem, CZ), 9. 3. 1879; gest. Wien, 14. 2. 1929; bis 1923 mos. Sohn des Branntweinerzeugers Josef Z. (geb. 4. 5. 1840; gest. 2. 7. 1896) und von Julie Z., geb. Schlesinger (geb. 4. 4. 1856; gest. 4. 3. 1924), Bruder des Mediziners Alfred Z. (1874–1940), Neffe von →Rosa Z. und →Donat Z., der nach dem Tod des Vaters zum Vormund bestellt wurde; ab 1913 verheiratet mit Wanda Z., verwitwete Boral, geb. Rosner (geb. Krakau, Galizien / Kraków, PL, 3. 1. 1889; gest. 1958), Red. bzw. Sekr. am Internationalen Inst. für geistige Zusammenarbeit des Völkerbunds. – Nach Absolv. des Staatsgymn. in Krumau (1897) stud. Z. 1897–1902 Rechtswiss. an der Univ. Wien; 1905 Dr. iur. Bereits als Gymnasiast besuchte er das private Collège Stanislas in Paris und wechselte nach Stud.abschluss an die Sorbonne. Daneben war er als Sekr. mehrerer französ. Abg. tätig. Beeinflusst von Gustave Flaubert, den er persönl. kannte, und Émile Zola, schrieb er 1902 seinen ersten Roman und übers. 1910 Flauberts Frühwerk. Nach seiner Rückkehr nach Wien arbeitete er 1905–08 in einer Rechtsanwaltskanzlei und erwarb auch das phil. Doktorat. I. d. F. wandte er sich der Journalistik bzw. dem Schriftstellerberuf zu. Er schloss sich der Gruppe Jung-Wien an, verkehrte mit →Arthur Schnitzler, dessen Stil v. a. seine frühen Werke beeinflusste, →Jakob Wassermann, →Hugo Hofmann v. Hofmannsthal und bald auch mit →Stefan Zweig. Seine frühesten schriftsteller. Arbeiten erschienen in der „Arbeiter-Zeitung“, später schrieb er für das „Neue Wiener Journal“, „Die Zeit“ und für ausländ., vornehml. französ. Bll. Im Herbst 1908 wurde er ständiger Mitarb. der „Neuen Freien Presse“, für die er bis 1919 ca. 200 Feuilletons verf. Der Themenkreis seiner Artikel umfasste die Literatur, das Theater, das soziale Leben aus unterschiedl. Perspektive, auch Ges., Adel und die Politik. Seine Sympathien für Frankreich, v. a. für Paris, fanden in vielen Beitrr. ihren Niederschlag. Im Herbst 1912 entsandte ihn die Ztg. als Reporter, um über den Balkankrieg zu berichten. Das trug ihm Spott durch →Karl Kraus ein, der ihm zwar Talent zubilligte, aber seine verharmlosende Darstellung des Kriegs scharf kritisierte. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs unterstützte Z. die Gründung der Hilfsaktion „Kälteschutz“ des Kriegsfürsorgeamts und bekleidete dort eine leitende Funktion. Im November 1917 übernahm er im Auftrag des österr. Außenmin. die Leitung der von Hofmannsthal angeregten „Revue d’Autriche“, die für Österr. Haltung im neutralen und feindl. Ausland werben sollte. Nach Kriegsende stand er als Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ von der Schweiz aus in ständigem Kontakt mit der österr. Delegation bei den Friedensverhh. in St. Germain. Im Anschluss daran wurde er im September 1919 zum österr. Presseattaché in Paris bestellt und fungierte außerdem als Berichterstatter der österr. Amtl. Nachrichtenstelle. In den folgenden Jahren unternahm er vielfältige Bemühungen, um den während des Kriegs abgerissenen Austausch auf dem Gebiet des Geistes- und Kulturlebens als literar. Übers., Organisator bilateraler Einrichtungen, durch Kongresse sowie Vermittlung von Opernauff. der Wr. Staatsoper zu reaktivieren. Seine beiden Novellensmlgg. „Das Kleid des Gauklers“ (1911) und „Das Feuerwerk“ (1919) brachten ihm überwiegend positive Kritiken ein. Sein sozialer Heimatroman „Die fremde Frau“ (1916), in dem er das jüd. Leben in einer mähr. Kleinstadt schilderte, mag ein Stück eigener Erfahrung reflektieren. Im Unterschied dazu bildete Wien und seine Ges. am Übergang von der Metropole eines Großreichs zur Hauptstadt „Restösterreichs“ das Grundthema seines zweiten Romans „Die Kaiserstadt“ (1923). In seinem letzten Roman „Der Sprung ins Ungewisse“ (1927), der mit dem Frieden von St. Germain einsetzt, verschlägt es den Protagonisten nach Paris und New York, in eine Welt, die Traditionen und Werte hinter sich gelassen hat. Ab 1922 nahm Z. an mehreren Verhh.runden beim Völkerbund teil und vertrat Österr. wiederholt bei verschiedenen Tagungen. Er war ab 1909 Mitgl. des Journalisten- und Schriftsteller-Ver. „Concordia“, Mitbegründer des Schutzverbands dt. Schriftsteller, Ortsgruppe Wien (1917), und der Organisation der Bühnenautoren (1919); 1922 HR. 1927 erhielt er den Ordre des Palmes Académiques, 1927 wurde er Ritter, 1928 Off. der Légion d’honneur.

Weitere W. (s. auch Lex. dt.mähr. Autoren): Zwei Märchen aus dem Böhmerwalde, 1898; Der kleine Gott der Welt, 1902; Pariser Cantilenen, 1904; Die helle Nacht, 1912.
L.: Neues Wr. Journal, 14. 10. 1919, 16. 2. 1929; NFP, 14. (Abendbl.), 15., WZ, 15., Die Stunde, 16. 2. 1929 (m. B.); Wininger; Briefwechsel H. v. Hofmannsthal – P. Z., ed. H. Burger, 1983; Lex. dt.mähr. Autoren, 2002 (m. W.); L. Marek, in: Acta Facultatis Philosophicae Univ. Ostraviensis. Studia Germanistica 21, 2017, S. 57ff.; Literar. Landkarte dt.mähr. Autoren (online, Zugriff 19. 1. 2022); Transdisziplinäre Konstellationen in der österr. Literatur, Kunst und Kultur der Zwischenkriegszeit (online, Zugriff 17. 1. 2022); AdR, AVA, UA, alle Wien; Mitt. Georg Gaugusch, Wien.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 533f.
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