Zítek, Josef von (1832–1909), Architekt

Zítek Josef von, Architekt. Geb. Karolinenthal, Böhmen (Praha, CZ), 4. 4. 1832; gest. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 2. 8. 1909 (begraben: Malenice, CZ); röm.-kath. Sohn des bereits vor Z.s Geburt verstorbenen Schuhmachers Joseph Zítek und der Josepha Zítek, Bruder des Kupferstechers Johann Zítek (1826–1895); ab 1881 verheiratet mit Berta Lippert. – Z. stud. 1848–51 am Prager Polytechnikum mit Unterstützung von →Adolf Maria Pinkas, durch den Z. möglicherweise →František Palacký, →Karel Havlíček und →Josef Mánes kennenlernte. 1851–54 bildete er sich an der ABK in Wien bei →August Sicard v. Sicardsburg und →Eduard van der Nüll weiter und besuchte 1851/52 Vorlesungen am polytechn. Inst. Außerdem erhielt er eine prakt. Ausbildung als Maurer. 1854/55 arbeitete Z. bei →Josef Andreas Kranner, wodurch seine frühen Werke (Wettbewerbsentwurf für die Wr. Votivkirche, 1854) eine neugot. Prägung erhielten. Nach einer ersten Italienreise (Triest, Venedig) trat er 1857 ins Atelier von Sicard v. Sicardsburg und van der Nüll ein, wo er ihre Entwürfe für die Böhm. Sparcasse in Prag und das neue Wr. Univ.gebäude zeichnete. Mit dem Votivkirchenentwurf gewann Z. 1858 den Rom-Preis der ABK, der ihm 1859–62 einen Italienaufenthalt ermöglichte. In Neapel dürfte er Friedrich Preller d. Ä. kennengelernt haben, für dessen Wandgemäldezyklus zur Odyssee Z. 1861 einen architekton. Entwurf schuf, der ihm wenig später den Auftrag für das Neue Mus. in Weimar (1862–69) einbrachte. 1862 suppl. Z. die Klasse van der Nülls an der ABK und arbeitete im Atelier seiner Lehrer am Bau der Wr. Hofoper mit. Im selben Jahr bereiste er Dtld., Belgien und Frankreich. In Brüssel beauftragte ihn Alfred Fürst Beaufort-Spontin mit Entwürfen für den Umbau von Schloss Petschau in Böhmen, die Z. 1864 gem. mit dem Architekten Adolf Gnauth entwickelte. In Wien erlangte Z. 1864 die Konzession als Stadtbaumeister, erhielt jedoch unmittelbar darauf die Berufung an das Prager Polytechn. Inst., wo er bis 1903/04 so namhafte Schüler wie →Antonín Wiehl, Josef Fanta, František Roith, Antonín Engel oder Pavel Janák ausbildete. Z.s Tätigkeit als Prof. für Hochbau trug wesentl. zur Entwicklung einer eigenständigen, von Wien unabhängigen Architektur in den böhm. Ländern bei. 1865 erhielt er den national stark aufgeladenen Bau des Nationaltheaters in Prag übertragen (1865–81), weil er das neue Theater auf einer ungünstig zugeschnittenen, kleinen Bauparzelle wirkungsvoll im Stadtraum inszenieren und ihm in Form, Material und Reichtum der Ausstattung eine monumentale Gestalt verleihen konnte. Sein auf →Gottfried Sempers modernsten Errungenschaften aufbauendes Nationaltheater konnte im europ. Vergleich ebenbürtig neben die Wr. Hofoper seiner Lehrer treten. Als das fast vollendete Theater 1881 abbrannte, erhielt Z.s ehemaliger Ass. und Mitarb. →Josef Schulz den Auftrag zur Behebung der Schäden und zur endgültigen Fertigstellung (bis 1883) – war Schulz doch Lehrer am 1869 gegr. böhm. Polytechn. Inst., während Z. am dt. blieb. Am Prager Rudolfinum (1874–85, gem. mit Schulz) orientierte sich Z. noch deutlicher an den Theaterreformkonzepten von Semper und Richard Wagner (segmentförmige Hauptfassade, egalitäre Anordnung der Sitzreihen ohne Logen). Als Kenner und Anhänger der Ideen Sempers war Z. neben →Ignaz Ullmann der bedeutendste Vertreter der Neorenaissance in Böhmen auf allg. europ. Niveau (Rezeption französ. Architekturmotive in der Mühlenkolonnade in Karlsbad, 1869–81). Wie Sicard v. Sicardsburg und van der Nüll oder →Theophil Frh. v. Hansen arbeitete Z. mit Bauvolumina, die die Entsprechung von Funktion und Form ermöglichen (Trennung von Konzert- und Künstlerhaus am Rudolfinum bei gleich artikulierter Fassade). Als nationale Identifikationsfigur, für die ihn gerade das Nationaltheater im Bereich der Architektur prädestiniert hätte, erfuhr Z. eine ambivalente Rezeption schon durch seine Zeitgenossen, weil er im Gegensatz zu prononciert nationalen Bewegungen als Vertreter einer auf Ausgleich bedachten polit. Haltung agiert haben dürfte. Z. war ab den frühen 1860er-Jahren Mitgl. der 1862 gegr. Umělecká beseda, ab 1866 w. M. der ABK Wien, an deren hist. Kunstausst. er 1877 teilnahm, und Dion.mitgl. sowie Obmann der Kunstsektion des Prager Dombauver.; 1866–69 Mitgl. des Stadtverordnetenkollegiums von Prag. HR Z. erhielt 1869 das Ritterkreuz des großherzogl. sächs. Haus-Ordens der Wachsamkeit, 1881 den Orden der Eisernen Krone III. Kl. sowie 1908 das Ehrendoktorat der dt. TH Prag, im selben Jahr wurde er in den Adelsstand erhoben.

Weitere W. (s. auch Architekt J. Z., 1996): Entwurf der Pfarrkirche, 1858/59 (Raková, verändert realisiert); Brauerei, 1862/63 (Petrohrad); Projekt des Schlossumbaus für Eugen Carl Gf. Czernín, 1862–64 (Petrohrad); Entwurf der kath. Pfarrkirche, 1864 (Weimar); Kirche Johannes des Täufers, 1864–66 (Vlíněves); Grabmal Adolf Maria Pinkas, 1865 (Friedhof Praha-Košíře); Grabmal Karel Havlíček Borovský, 1865–70 (Olšany Friedhof, Praha); Entwurf für das Böhm. Mus., 1865 (Praha); Stiegenhaus im Palais Thun-Hohenstein, 1870 (Prager Kleinseite); Umbau von Schloss Lčovice, ab 1883.
L.: Prager Tagbl., 3., WZ, 4., Das Vaterland, 5., Prager Abendbl., 7. 8. 1909; Thieme–Becker; Wurzbach; A. Kubiček, in: Umění 5, 1932, S. 391ff.; E. Krtilová, Architekt J. Z., 1954; E. Poche, Enc. českého výtvarného umění, 1975; Z. Dvořáková, J. Z., 1983 (m. B.); K. Ksandr – M. Benešová, Architekt J. Z. a pražské Rudolfinum, Praha 1995 (Kat.); M. Marek, in: Böhmen im 19. Jh., ed. F. Seibt, 1995, S. 149ff.; Architekt J. Z., ed. K. Ksandr, Praha 1996 (Kat., m. W.); Th. Köhler, in: Neues Mus. Weimar, ed. R. Bothe, 1997, S. 21ff.; K. Ksandr, in: Antike Tradition in der mitteleurop. Architektur der zweiten Hälfte des 19. Jh., ed. J. Bouzek – P. Líba, 1999, S. 77ff.; J. Vybíral, Česká architektura na prahu moderní doby, 2002, S. 121ff.; M. Marek, Kunst und Identitätspolitik, 2004, s. Reg.; K. Ksandr, J. Z. architekt, pedagog a památkář, 2009 (m. B.); Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst, ed. M. Krüger – I. Woldt, 2015, s. Reg.; ABK, TU, beide Wien.
(R. Kurdiovsky)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 562f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>