Zuckerkandl (Zuckerkandl-Széps, Széps-Zuckerkandl), Berta (Bertha, Berthe); geb. Széps, Ps. M. Jacques (1864–1945), Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Salonière

Zuckerkandl (Zuckerkandl-Széps, Széps-Zuckerkandl) Berta (Bertha, Berthe), geb. Széps, Ps. M. Jacques, Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Salonière. Geb. Wien, 13. 4. 1864; gest. Paris (F), 16. 10. 1945; mos. Tochter von →Moritz Széps und Amalie Széps, geb. Schlesinger (geb. 7. 8. 1838; gest. Wien, 11. 10. 1912), Schwester von →Julius Széps, Schwägerin von →Viktor Z., →Otto Z. sowie von Paul Clemenceau, Ing. und Dir. der Dynamit Nobel AG in Paris und Bruder des französ. Ministerpräs. Georges Clemenceau; ab 1886 verheiratet mit →Emil Z. – Z., die etwa durch →Albert Ilg Privatunterricht erhielt, lernte im Salon ihrer Mutter u. a. →Alfred Grünfeld und ihre lebenslangen Freunde →Johann Strauß (Sohn) und →Alexander Girardi kennen. Bereits als junges Mädchen fungierte sie als Sekr. ihres Vaters und übernahm Kurierdienste für dessen geheime Korrespondenz mit Kronprinz →Rudolf. Bei Besuchen in Paris lernte sie u. a. Maurice Ravel, Eugène Carrière und August Rodin kennen, den sie später mit →Gustav Klimt bekannt machte. Nach Z.s Heirat lebte das Paar in Graz, 1888 übersiedelte es nach Wien, wo Z. einen eigenen Salon zu führen begann. In frühen Jahren besuchten ihn u. a. →Julius Wagner-Jauregg, Richard Frh. v. Krafft-Ebing sowie →Hermann Bahr. Später wurde ihr Jour fixe zum Treffpunkt der bekanntesten Schauspieler, Literaten und modernen Künstler: Hier wurde die Idee zur Wr. Secession wie auch zur Wr. Werkstätte geboren und „Jedermann“ von →Hugo Hofmann v. Hofmannsthal erstmals öff. gelesen. Dieser erkor gem. mit →Max Reinhardt Z. zum „Herold“ ihrer geplanten Salzburger Festspiele. Dieses Vorhaben propagierte sie nicht nur im Feuilleton, sondern verf. auch das Geleitwort zum ersten Festspielprogramm. Bereits 1893 begann Z. ihre Karriere als Journalistin und Kunstkritikerin im „Neuen Wiener Tagblatt“ und in der WS „Die Zeit“, 1898–1922 wurden ihre Artikel in der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ veröff., zudem schrieb sie u. a. für die Z. „Wiener Rundschau“, „Die Kunst für alle“ und „Deutsche Kunst und Dekoration“. 1900 erschien ihr Artikel „Dekorative Kunst und Kunstgewerbe“ im Band „Die Pflege der Kunst in Oesterreich 1848–1898“ (ed. Ludwig Hevesi), 1908 gab sie eine Smlg. ihrer Essays zur zeitgenöss. Kunst unter dem Titel „Zeitkunst. Wien 1901–1907“ heraus. Zu ihren Freunden gehörten neben den bereits Genannten auch →Franz Werfel, →Egon Friedell, →Arthur Schnitzler, →Otto Wagner, →Gustav Mahler, Alma Mahler sowie →Felix Salten oder Georges Clemenceau. Der schärfste Kritiker ihrer Person wie ihrer Aktivitäten war →Karl Kraus. 1916 übersiedelte Z. ins Palais Lieben-Auspitz (Wien 1) in eine Vier-Zimmer-Wohnung (eines davon gestaltete Josef Hoffmann für sie), wo sie oft über 100 Gäste empfing. Als Patriotin und Pazifistin versuchte sie 1917 mit Hilfe ihrer exzellenten Kontakte zum damaligen französ. Kriegsminister Paul Painlevé geheime Verhh. für einen Separatfrieden zu erwirken, was jedoch verraten wurde. Erfolgreich waren ihre Vermittlungen für die ersten Lebensmittellieferungen an Österr. nach dem 1. Weltkrieg sowie um die Völkerbundanleihe bei der Genfer Sanierung der österr. Währung. In ihrem Salon verkehrten nun Politiker aller Lager wie →Otto Bauer und →Ignaz Seipel. Ab 1923 publ. sie im „Neuen Wiener Journal“ Artikel zur österr. Außenpolitik wie auch Interviews mit französ. und engl. Politikprominenz. Weiters vermittelte sie etwa österr. Dramatiker (wie Schnitzler) an französ. Bühnen und wirkte als Übers. französ. Autoren wie Marcel Achard, Henri-René Lenormand, Jacques Bousquet, Jean Anouilh und Paul Géraldy ins Dt. Anfang der 1930er-Jahre zwangen sie schließl. finanzielle Schwierigkeiten zur Aufgabe ihres Salons. Nach dem „Anschluss“ gelang es ihr mit Hilfe von Paul Clemenceau und Paul Géraldy, nach Paris zu flüchten, wo sie i. d. F. dem Beirat der Zentralvereinigung österr. Emigranten angehörte. Dort verf. Z. ihre Memoiren „Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte“, die 1939 fast gleichzeitig in mehreren Sprachen erschienen. 1940 war sie erneut gezwungen zu fliehen und ging nach Algier. Hier schrieb sie noch zwei Erinnerungsbücher: „Österreich intim“, das erst 1970 veröff. wurde, sowie „Clémenceau, tel que je l’ai connu“ (1944). Ab 1943 arbeitete sie für die österr. Abt. eines alliierten Radiosenders und veröff. Artikel in der Z. „TAM“, nach Kriegsende kehrte sie nach Paris zurück. Z. wurde 1928 Mitgl. des Österr. PEN-Clubs und 1929 Ritter der Légion d’honneur. Ein Teilnachlass befindet sich in der Österr. Nationalbibl.

Weitere W.: s. Redl.
L.: Der Standard, 2. 9. 2016; Bolbecher–Kaiser; Killy; R. Redl, B. Z. und die Wr. Ges., grund- und integrativwiss. Diss. Wien, 1978 (m. W.); R. Wall, Verbrannt, verboten, vergessen, 1988, S. 217f. (m. B.); Jüd. Frauen im 19. und 20. Jh., ed. J. Dick – M. Sassenberg, 1993 (m. B.); L. O. Meysels, In meinem Salon ist Österr. B. Z. und ihre Zeit, 2. Aufl. 1997 (m. B.); H. Kratzer, Die großen Österreicherinnen, 2001, S. 68f.; M. Schulte, B. Z., 2006 (m. B.); M. Oppenauer, Der Salon Z. im Kontext von Wiss., Politik und Öffentlichkeit, 2012, S. 68ff.; Th. Klugsberger, in: B. Z. Österr. intim, ed. R. Federmann, 2013, S. 7ff. (m. B.); Flucht! B. Z. Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, ed. Th. Klugsberger – R. Pleyer, 2013 (m. B.); A. Weirich, B. Z. (1864–1945), Diss. Dijon, 2014; V. Brantl, in: Preprints der Z. BIBLIOTHEK – Forschung und Praxis, 2018 (online, m. B., Zugriff 22. 11. 2021); Berg, Wittgenstein, Z., ed. B. Fetz, Wien 2018, S. 191ff. (Kat., m. B.); A. Winkelbauer, in: The Place to Be. Salons als Orte der Emanzipation, ed. W. Hanak u. a., Wien 2018, S. 114ff. (Kat.); B. Z. – G. Kunwald. Briefwechsel 1928–38, ed. G. Enderle-Burcel, 2018 (m. B.); FemBio (online, m. B., Zugriff 22. 11. 2021); Jewish Women’s Archive (online, m. B., Zugriff 22. 11. 2021); Wien Geschichte Wiki (m. B., Zugriff 22. 11. 2021); Tagbl.Archiv, Wien.
(R. Müller)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 591f.
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