Rokitansky, Prokop Lothar (Prokopp) Frh. von (1842–1928), Internist

Rokitansky Prokop Lothar (Prokopp) Freiherr von, Internist. Geb. Wien, 6. 12. 1842; gest. Graz (Steiermark), 24. 8. 1928; röm.-kath. Sohn von →Carl Freiherr von Rokitansky und der Sängerin Maria (Marie) Freifrau von Rokitansky, geb. Weis (1806–1888), Bruder von →Hans Freiherr von Rokitansky, →Victor Freiherr von Rokitansky (s. u. Hans Freiherr von Rokitansky) und →Karl Freiherr von Rokitansky; ab 1869 verheiratet mit seiner Cousine Maria Freifrau von Rokitansky-Weis (s. u.). – Nach Ablegung der Matura am Piaristengymnasium 1860 studierte R. Medizin an der Universität Wien; 1866 Dr. med., 1867 Dr. chir. 1866–71 vertiefte er seine Kenntnisse als Assistent bei →Josef von Skoda, danach bis 1873 bei →Adalbert Duchek. Anschließend arbeitete er experimentell klinisch in der Abteilung für allgemeine und experimentelle Pathologie bei →Salomon Stricker, verfasste erste Publikationen über das Atemnervenzentrum sowie über die Wirkung von Chloralhydrat auf das Nervensystem. 1876 erfolgte seine Habilitation für innere Medizin, 1877 nahm R. eine Berufung zum ao. Professor der medizinischen Pathologie und Therapie und medizinischen Klinik in Innsbruck an. 1878 wurde er dort zum Ordinarius und Vorstand befördert, 1907 trat er in den Ruhestand. R. setzte die Bemühungen seines Vaters um die Wiedererrichtung und Modernisierung der medizinischen Fakultät in Innsbruck erfolgreich fort (die Universität Innsbruck war 1782–1869 zu einem Lyzeum herabgestuft worden). Insbesondere machte er sich um den Neubau und die 1888 erfolgte Übersiedlung der Universitätsklinik, um die Organisation eines modernen Klinikbetriebs sowie um die Einrichtung einer klinischen Bibliothek verdient; 1881/82 Senator, 1882/83 sowie 1887/88 Dekan, 1896/97 Rektor. In letzterer Funktion vertrat er die Universität im Tiroler Landtag. R. galt sowohl im klinischen als auch im experimentellen Bereich als Vertreter der Wiener Medizinischen Schule. Unter der Kollegenschaft angesehen waren seine Versuche, die Lungentuberkulose mittels benzoe-saurem Natron zu behandeln. Darüber hinaus befasste er sich u. a. mit dem Erysipel, mit Asthma bronchiale, Pericarditis rheumatica und Leberzirrhose. R.s Behandlungsleitlinien und Therapiemaßnahmen für interne Erkankungen wurden von seinem Assistenten Josef Lins in der Fachzeitschrift „Die Klinische Therapie der Gegenwart“ (H. 8, 1894) publiziert. Ab 1871 Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, erhielt R. 1896 den Orden der Eisernen Krone III. Klasse und 1903 den Hofratstitel. Seine Ehefrau, die Frauenrechtsaktivistin Maria (Marie, Mimi) Freifrau von Rokitansky-Weis, geb. Weis Edle von Ostborn (geb. Wien, 13. 1. 1848; gest. Graz, 6. 11. 1924), Tochter des Finanzbezirksdirektors in Graz Joseph Weis Ritter von Ostborn (1807–1905) und von Karoline Weis Edle von Ostborn, geb. Hüttenbrenner (1827–1916), war Gründerin und langjährige Präsidentin des Frauenvereins für Krippenanstalten in Innsbruck. Unter ihrer Ägide eröffnete der Innsbrucker Frauenverein 1898 die Rosalien-Krippe in dem noch heute bestehenden Kinderzentrum Pechegarten. Durch die pädagogische Betreuung von Kindern in einer Institution ermöglichte Maria R. jungen Frauen die Erwerbstätigkeit, bemühte sich, Mädchen aus allen sozialen Schichten die Grundkenntnisse der Haushaltsführung beizubringen, und verfasste deshalb u. a. das Kochbuch „Die Österreichische Küche“ (1897, 14. Aufl. 1929, Reprint 2011), das 1899 in Wien mit der Großen Medaille mit der Goldpalme und 1900 in Paris bei der Weltausstellung mit der Goldenen Medaille prämiert wurde. 1907 erhielt Marie R. den Elisabeth-Orden.

W.: Untersuchungen über die Athemnerven-Centra, in: Medizinische Jahrbücher, 1874; Ueber den Einfluss des Chloralhydrats auf die Reizbarkeit des Nervensystems, ebd.; Beiträge zur Kentniss der Herzfunction, 1876; Der heutige Standpunkt der klinischen Medicin und der aerztliche Beruf, 1877; Ueber den Verlauf eines Falles von Intermittens unter der Wirkung des Pylocarpin, in: Medizinische Jahrbücher, 1878; Die neueren Arzneimittel in ihrer Anwendung und Wirkung, 1879 (3. Aufl. 1888, gem. mit W. F. Löbisch); Experimentelle Beiträge zur Lehre von der haematogenen Albuminurie, in: Berichte des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines in Innsbruck 12, 1882 (gem. mit Löbisch). – Maria R.-Weis: Apell an die Frauen!, in: Allgemeine Frauen-Zeitung 1, 1914, H. 1.
L.: Tages-Post (Linz), 7. 10. 1879; NFP, 25. 8. 1928 (Abendblatt); Pagel; J. Lins, Die Therapie der internen Medicin auf der Klinik des Prof. Dr. P. v. R. in Innsbruck, 1894, S. 1ff.; F. Huter, Hundert Jahre Medizinische Fakultät Innsbruck 1869 bis 1969, 2, 1969, s. Reg.; J. E. Tumler, Die Abgeordneten zum Tiroler Landtag von 1861–1914, 1981, S. 325; H. Huber, Geschichte der medizinischen Fakultät Innsbruck und der medizinisch chirurgischen Studieranstalt (1673–1938), 2010, s. Reg. (mit Bild); Familienarchiv Rokitansky, Wien; Pfarre Graz-Graben, Steiermark. – Maria R.-Weis: biografiA. Lexikon österreichischer Frauen 3, 2016.
(U. Rokitansky-Tilscher)  
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)