Unger, Franz (1800–1870), Naturwissenschaftler und Mediziner

Unger Franz, Naturwissenschaftler und Mediziner. Geb. Gut Amthofen (Schloßberg, Stmk.), 30. 11. 1800; gest. Graz (Stmk.), 13. 2. 1870; röm.-kath. Sohn des Besitzers von Gut Melletin Joseph U. (gest. 6. 8. 1827) und der Anna Josepha U., geb. Wreger, verwitwete Knebl (gest. 4. 4. 1815), Bruder u. a. von Ferdinand U. (s. u.), Vater von Hildegarde U. (1838–1849) sowie →Theodor U. und Maria U., verh. Schrenckh (1853–1897), die den wiss. Nachlass des Vaters verwalteten; ab 1836 verheiratet mit Maria Josepha Sand(t) (1813–1873). – U. belegte die ersten drei Gymn.kl. in Graz und wechselte dann an das Stiftsgymn. Admont, wo er auch den dreijährigen phil. Kurs absolv. 1820 stud. er zunächst Jus am Lyzeum in Graz, hörte aber daneben bereits botan. Vorlesungen bei Lorenz Chrysanth v. Vest d. J. am Joanneum und wechselte schließl. 1821 an die Univ. Wien, um Med. zu stud. Nach einem missglückten Versuch, die griech. Revolution zu unterstützen, wechselte er 1822 an die Univ. Prag und unternahm im Herbst 1823 eine ausgedehnte Reise durch Dtld., wo er u. a. den Botaniker Lorenz Oken kennenlernte. Bei seiner Rückkehr nach Wien wurde er wegen allzu liberaler Geisteshaltung für sieben Monate inhaftiert und im Juli 1824 wieder auf freien Fuß gesetzt. U. setzte seine med. Stud. in Wien fort; 1827 Dr. med. Im selben Jahr wirkte er als Erzieher bei →Ferdinand Gf. Colloredo-Mansfeld in Staatz, 1828 wechselte er als prakt. Arzt nach Stockerau, 1830 ging er als Landgerichtsarzt nach Kitzbühel. Ab 1835 Prof. für Botanik und Zool. sowie Dir. des botan. Gartens am Joanneum in Graz, erweiterte er dort den Smlg.bestand zur Naturgeschichte, übernahm 1838/39 zusätzl. die Supplierung der Professur für Landwirtschaftslehre und hielt 1845 öff. Vorlesungen über Geognosie. 1849 o. Prof. der Botanik (Pflanzenanatomie und -physiol.) an der Univ. Wien. 1852 bereiste er Dänemark, Norwegen und Schweden, 1858 Ägypten und Syrien, 1860 Griechenland und die Ionischen Inseln, 1862 Zypern. 1864–68 war er mehrmals in Dalmatien. 1867 HR, trat er i. d. R. und wurde 1868 offiziell seiner Stelle enthoben. Mit über 170 wiss. Publ. beeinflusste U. maßgebl. die Entwicklung der Erforschung der Pflanzenanatomie und -physiol., Geobotanik und Pflanzengeographie sowie der Paläobotanik in Österr. Bis etwa 1840 standen seine Arbeiten stark unter dem Einfluss der Naturphil. von Schelling und Oken, von denen er sich später distanzierte. Jedoch betrachtete er die Natur stets als Ganzes, als ein empfindl. System von gegenseitigen Abhängigkeiten und Verflechtungen. In dem wichtigen Buch „Ueber den Einfluss des Bodens auf die Vertheilung der Gewächse, nachgewiesen in der Vegetation des nordöstlichen Tirols“ (1836) prägte er die Begriffe der bodensteten, -holden und vagen Pflanzen und dokumentierte damit die Abhängigkeit einzelner Pflanzenarten von der Bodenbeschaffenheit. In seinem paläobotan. Hauptwerk, der 1841–47 erschienenen „Chloris protogaea“, skizzierte er die Vegetation der verschiedenen erdgeschichtl. Perioden und beschrieb über 1.600 Pflanzenfossilien. Im „Versuch einer Geschichte der Pflanzenwelt“ äußerte U. bereits 1852 klar, dass eine Pflanzenart nur aus einer anderen hervorgehen könne. Diese evolutionist. Meinung trug ihm, zusammen mit der Hrsg. des mehrmals aufgelegten Bilderzyklus „Die Urwelt in ihren verschiedenen Bildungsperioden“ (1851ff.) und seinen Ansichten in den eher populär verf. „Botanischen Briefen“ (1852), heftige Kritik seitens der kath. Kirche in Österr. ein. U. war u. a. ab 1847 w. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien, ab 1850 auswärtiges Mitgl. der mathemat.-physikal. Kl. der kgl. bayer. Akad. der Wiss. in München, ab 1851 Mitgl. der zoolog.-botan. Ges. in Wien, ab 1855 k. M. der physikal.-mathemat. Kl. der kgl. preuß. Akad. der Wiss. in Berlin sowie der Dt. Akad. der Naturforscher Leopoldina. 1867 erhielt er den Orden der Eisernen Krone III. Kl., den damit verbundenen Adelstitel führte er nicht. Sein Bruder, der Wundarzt Ferdinand U. (geb. Schloßberg, 19. 4. 1808; gest. Groß St. Florian, Stmk., 31. 3. 1871), absolv. eine militärärztl. Ausbildung zum Mag. chir. und ließ sich etwa 1832 als Bez.wundarzt in Groß St. Florian nieder. Später leitete er die Impf-Regenerierungsanstalt St. Florian, erwarb sich große Verdienste um das Impfwesen in Österr. und interessierte sich für Botanik. 1858 erhielt er das Ritterkreuz I. Kl. des herzogl. Constantin. St. Georgs-Ordens von Parma, 1863 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens.

Weitere W.: s. Wurzbach; Leitgeb, Botan. Ztg.; Reyer; Enslein.
L.: Illustrirte Ztg. (Leipzig), 20. 9. 1856 (m. B.); NFP, 15., 25. 2. (Morgenbl.), 24. 3. 1870; WZ, 15., Tagespost (Graz), 17. 2. 1870; Almanach Wien 20, 1870, S. 201ff.; SBL; Stafleu; Wurzbach (m. W.); A. Neilreich, in: Österr. botan. Z. 14, 1864, S. 1ff. (m. B.); Journal of Anthropology 1, 1870, S. 227ff. (m. B.); H. Leitgeb, in: Botan. Ztg. 28, 1870, Sp. 241ff. (m. W.); ders. in: Mitth. des naturwiss. Ver. für Stmk. 2, 1870, S. 270ff. (m. B.); A. Reyer, Leben und Wirken des Naturhistorikers Dr. F. U., 1871 (m. W.); Briefwechsel zwischen F. U. und St. Endlicher, ed. G. Haberlandt, 1899; J. Wiesner, in: Verhh. der k.-kgl. zoolog.-botan. Ges. in Wien 52, 1902, S. 51ff.; Österr. Naturforscher und Techniker, 1951, S. 94ff.; J. Enslein, Die wiss.geschichtl. Untersuchung und Wertung der anatom., physiolog. und ökolog. Arbeiten von F. U., phil. Diss. Wien, 1955; S. Gliboff, in: Journal of the History of Biology 31, 1998, S. 179ff.; UA, Wien; Pfarre Leutschach, Stadtpfarre Graz zum Hl. Blut, Dompfarre Graz, alle Stmk. – Ferdinand U.: Die Presse, 27. 11. 1858; Klagenfurter Ztg., 13. 1. 1864; FB, 3., WZ, 4., Grazer Volksbl., 9. 4. 1871; Wurzbach (s. u. William U.); Pfarre Leutschach, Pfarre Groß St. Florian, beide Stmk.
(M. Svojtka)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 101f.
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