Venezian, Felice (1851–1908), Politiker und Jurist

Venezian Felice, Politiker und Jurist. Geb. Triest, Freie Stadt (Trieste, I), 3. 8. 1851; gest. ebd., 11. 9. 1908; mos., 1885 Austritt aus dem Judentum. Cousin von Giacomo V. (s. u.); verheiratet mit Jole Maffei, der Tochter eines Triestiner Kaufmanns. – V. besuchte erst das dt. und später das italien. Gymn. in Triest. Anschließend stud. er Rechtswiss. an der Univ. Innsbruck (nicht nachweisbar), wo er mit irredentist. student. Kreisen in Kontakt kam. Nach dem Stud. wirkte V. als Anwalt in seiner Geburtsstadt. Seine jurist. Kompetenz sowie seine Freundschaft mit Francesco Hermet, dem Anführer der nationalliberalen Società del Progresso, begünstigten 1882 seinen Einzug in den Triestiner Gmd.rat in den Reihen der Nationalliberalen. Von da an fungierte er bis zu seinem Tod als deren unumstrittene Führungsfigur. Er leitete die Partei mit einem aus nur wenigen gewählten Mitarb. bestehenden Aktionskomitee auf autoritäre Weise. Obwohl die Fraktion bei den RR-Wahlen von 1897 einen absoluten Sieg erlangte, wurde der diktator. Führungsstil V.s Ende der 1890er-Jahre durch den extremist. mazzinian. Flügel zunehmend infrage gestellt, was zu einer Spaltung führte. Zentraler Streitpunkt zwischen der von V. geleiteten konservativen Gruppierung und der sezessionist. Associazione Democratica war die Wahlrechtsfrage. In seinen letzten Lebensjahren setzte sich V. für eine Wahlreform ein, die die Vorherrschaft seiner Partei in Triest gegenüber dem rasanten Aufstieg der slowen. und sozialist. Parteien garantieren sollte. Dennoch stellten die Triestiner Sozialisten nach der Wahl von 1907 die absolute Mehrheit der in den RR zu entsendenden Abg. 1901–08 hatte V. das Amt des Vizepräs. des Gmd.ausschusses inne. Er pflegte persönl. Kontakte zu wichtigen irredentist. Politikern Italiens. Ein diesbezügl. zentrales Forum bildete die Freimaurerei, durch die V. auch mit Matteo Renato Imbriani, dem Begründer der Pro Patria Irredenta, und bes. mit dem röm. Bgm. und Großmeister der Loge Grande Oriente d’Italia Ernesto Nathan in Beziehung stand. 1894 wurde die von V. geleitete Triestiner Loge Alpi Giulie wegen des österr. Freimaurerverbots im italien. Udine gegr. V. war daneben in zahlreichen Ver. und Organisationen aktiv: Mitgl. der Unione Stenografica Triestina, des Triestiner Fechtver. und ab 1894 des Triestiner italien. Alpenver., 1883–89 Vors. der Società Ginnastica Triestina sowie des 1885 in Triest gegr. Schutzver. Pro Patria, nach dessen Auflösung 1890 Beteiligung an der Neugründung unter dem Namen Lega Nazionale im darauffolgenden Jahr. V. war schließl. auch eine der treibenden Kräfte hinter der 1896 erfolgten Gründung der Ges. Dante Alighieri, die eine Stärkung der italien. Sprache und Kultur im Schulwesen des Küstenlands gegenüber dem Dt., Slowen. und Kroat. zum Ziel hatte. Sein Nachlass befindet sich im Civico mus. di storia patria, Trieste. V.s Cousin, der Jurist und Politiker Giacomo V. (geb. Triest, 7. 12. 1861; gest. an der Isonzofront, 20. 11. 1915, gefallen; mos.), Sohn von Vitale V. und Elisa (Lisetta) Norsa aus Mantua, ab 1889 verheiratet mit Emma Gfn. De Sanctis, leitete ab 1878 die irredentist. Studenten-Z. „Il Martello“ und war Mitbegründer einer irredentist. Geheimges. für Studenten und Arbeiter in Triest. 1878 wurde er verhaftet und in Graz zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung übersiedelte er nach Italien und erhielt 1881 die italien. Staatsbürgerschaft. Im Jahr darauf schloss er ein Jusstud. in Bologna ab, diente anschließend in der Armee und beschritt eine Karriere als Univ.Prof. in Camerino (1885–87), Macerata (1887–95), Messina (1895–1900) und Bologna (ab 1900). V. verf. wichtige Stud. über den Landbesitz in Italien. Ab 1911 Mitgl. des Partito Nazionalista Italiano, wurde er 1914 in den Gmd.rat von Bologna gewählt. 1915 rückte er freiwillig zum Kriegsdienst ein und fiel noch im selben Jahr.

W.: E. Noe e la sua opera, 1888, Nachdruck 1956. – Giacomo V.: Dellʼusufrutto, dellʼuso e dellʼabitazione nel Trattato di diritto civile di P. Fiore, 1895; Punti di diritto privato, 1904; Riforma della pubblicità immobiliare, 1910; Proprietà fondiaria libera, 1912; Opere giuridiche, 3 Bde., 1918–25.
L. (tw. auch für Giacomo V.): C. Depiera, Commemorazione di F. V., 1908 (m. B.); A. Tamaro, Storia di Trieste 2, 1924, s. Reg.; C. Jona, F. V. e il suo tempo, 1958; G. Piemontese, Il movimento operaio a Trieste, 1974, s. Reg.; A. Millo, L’élite del potere a Trieste, 1989, s. Reg.; E. Winkler, Wahlrechtsreformen und Wahlen in Triest 1905–09, 2000, s. Reg.; Comunità ebraica di Trieste, I. – Giacomo V.: G. V. Nel primo anniversario della morte eroica, 1916; C. Bertacchi, G. V., 1917 (m. B.); A. Scocchi, Gli ebrei di Trieste nel Risorgimento italiano, 1952, s. Reg.; E. Maserati, Il movimento operaio a Trieste dalle origini alla prima guerra mondiale, 1973, s. Reg.
(F. Toncich)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 227f.
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