Wallerstein, Moritz (1847–1906), Kantor, Chorleiter und Gesangspädagoge

Wallerstein Moritz, Kantor, Chorleiter und Gesangspädagoge. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 19. 4. 1847; gest. ebd., 7. 11. 1906; mos. Sohn des Vorstehers der Fränkel-Synagoge in Prag, Vater von →Lothar W., Konrad W. (s. u.), der Sängerin Laura W. (geb. Prag, 26. 10. 1876; gest. Wien, 14. 3. 1962) sowie der Pianistin Therese W. (geb. Prag, 8. 2. 1888; gest. Vernichtungslager Maly Trostinez, Reichskommissariat Ostland/BY, ca. 8. 9. 1942); verheiratet mit Berta W., geb. Reiniger. – W. war Chorknabe und Solosopran des Prager Tempels unter Oberkantor Moriz Pereles. Seine Klavierausbildung erhielt er bei Carl Tullach, später nahm er Gesangsunterricht bei Joseph Eminger. Zudem besuchte W. die Orgelschule von →Franz Xaver Skuherský in Prag und setzte seine musikal. Ausbildung bei Prof. Blažek fort. Auf Empfehlung von Pereles wurde er 1868 Erster Kantor an der German Synagoge in London. Nach seiner Rückkehr wirkte W. ab Herbst 1870 bis zu seinem Tod als Oberkantor und Chordirigent der Maisel-Synagoge in Prag. Darüber hinaus war er Gesangslehrer (V. a. als Stimmbildner sehr geschätzt) sowie ab 1889 Betreiber einer privaten Gesangsschule in Prag, deren Schüler u. a. Karel Burian (→Karl Burrian) und Karl Wildbrunn waren. Sowohl als Kantor als auch als Pädagoge veröff. er einschlägige Kompositionen bzw. Lehrwerke. Er wurde mit der italien. goldenen Medaille für Kunst und Wiss. geehrt. Sein ebenfalls musikal. tätiger Sohn Konrad W. (geb. Prag, 30. 10. 1879; gest. KZ Auschwitz, Dt. Reich/PL, 28. 10. 1944; mos.) war ab 1907 mit der Sängerin Regine W., geb. Ullmann (geb. um 1882; gest. Prag, 18. 6. 1909) und in 2. Ehe (ab 1914) mit einer ehemaligen Schülerin, Frieda W., geb. Reimann (gest. KZ Auschwitz, 28. 10. 1944), verheiratet. Er nahm während seiner Berufstätigkeit in einem Ledergeschäft ab 1895 bzw. später als Bürokraft Klavier- und Harmonielehreunterricht. 1899–1901 stud. er am Prager Konservatorium Harmonielehre, Komposition und Generalbass. Nach dem Abschluss ging er auf Vermittlung seines Korrepetitionslehrers Felix Lederer als Korrepetitor ans Stadttheater Nürnberg, 1903 wurde er dort Kapellmeister. Danach kehrte er nach Prag zurück, wo er den Dt. Männergesangver. leitete. Ab Herbst 1904 war er Korrepetitor und Gesangspädagoge in der Gesangsschule seines Vaters, die er nach dessen Tod erfolgreich allein weiterführte. Viele seiner Schüler fanden Engagements an verschiedenen Bühnen der Monarchie. Daneben trat er öff. als Klavierbegleiter auf. 1906 wurde er Leiter des Chors des Jubiläumstempels in der Jerusalemgasse. Zumindest 1910 war er auch Chordir. am neuen Tempel in der Geistgasse. Ab 1920 wirkte er als Pädagoge (Gesang, Opernschule) an der Abt. für Operngesang der Dt. Akad. für Gesang und Musik (Schüler u. a. Otakar Kraus) in Prag; 1925 Prof. Elf Jahre lang leitete er die Prager Ortsgruppe des Dt. Musikpädagog. Verbands. Nach dem dt. Einmarsch 1939 folgte seine zwangsweise Beurlaubung. Er gab privat weiter Gesangsunterricht und führte in Privatkonzerten in seiner Wohnung Musik von verbotenen jüd. Komponisten auf, u. a. auch die seines Freunds →Viktor Ullmann. Im Juli 1943 wurde Konrad W. mit seiner 2. Frau in das Ghetto Theresienstadt deportiert und im Oktober 1944 in das KZ Auschwitz überstellt, wo beide unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurden.

W.: Hebr. und dt. Synagogengesänge, 1892; Gesangs-Repetitorium, 1903, 2. Aufl. 1920; 24 Original-Solfeggien, 1904. – Konrad W.: Spezielle Gesangsmethodik, 1932; Kol Nidre und andere traditionelle, bekannte Hebr. Melodien, für Clavier gesetzt, o. J. – Publ.: Auszug aus den Vorlesungen über die spezielle Methodik des Kunstgesanges, gehalten an der Dt. Akad. für Musik und darstellende Kunst in Prag, 1931; Lehrgang und Literatur für den Gesangunterricht, 1933 (gem. m. E. Brömse – A. Swoboda); Nachlass: Zentrum für Verfemte Musik, Hochschule für Musik und Theater Rostock, D.
L.: Prager Abendbl., 22. 3. 1889; Prager Tagbl., 20. 5. 1892, 1. 10. 1895; NFP, 12. 11. 1906; Jüd. Lex.; oeml (auch für Konrad W.); Die Wahrheit, 1906, Nr. 44 (Oesterr.-ung. Kantoren-Ztg.). – Konrad W.: Prager Tagbl., 16. 9. 1904; Müller; Montagsbl. aus Böhmen 26, 1904, Nr. 38, S. 10, 30, 1908, Nr. 37, S. 9; Neuer Theater-Almanach, 1900–04; FS Dt. Akad. für Musik und darstellende Kunst in Prag. 1920–30, 1931, S. 87; V. Ullmann, 26 Kritiken über musikal. Veranstaltungen in Theresienstadt, ed. I. Schultz, 1993, S. 28; K. Weniger, Zwischen Bühne und Baracke, 2008, S. 419; Musik im Protektorat Böhmen und Mähren (1939–45), ed. A. Wehrmeyer, 2008, s. Reg.; C. Stoessinger, A Century of Wisdom. Lessons from the Life of A. Herz-Sommer, the World’s Oldest Living Holocaust Survivor, 2012; holocaust.cz (Zugriff 28. 6. 2017); ullmann-lieder.com (Zugriff 28. 6. 2017).
(M. Kornberger)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 459f.
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