Wiechowski, Wilhelm (1873–1928), Mediziner und Pharmakologe

Wiechowski Wilhelm, Mediziner und Pharmakologe. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 6. 5. 1873; gest. Baden (NÖ), 19. 12. 1928 (begraben: Wien); röm.-kath. Sohn von Dr. Alexander W. (1831–1883), Dir. eines öff. Untergymn. und einer Unterrealschule mit angeschlossenem Internat, ab 1872 Dir. der dt. Lehrerbildungsanstalt in Prag, und Wilhelmine W. (s. u.), Bruder des Atomphysikers Siegfried W. (geb. Prag, 27. 12. 1879), Vater des Ing. für Elektrotechnik Dr. Withold W. (1907–1971); verheiratet mit Anna Marie W., geb. Tausch v. Glöckelsthurn (1867–1938), Mitbegründerin und langjährige Vors. der Dt. Frauenliga für Frieden und Freiheit sowie Vorstandsmitgl. der Dt. Liga für Völkerbund und Völkerverständigung in der Tschechoslowakei. – Nach seiner Gymn.matura 1892 stud. W. Med. an der dt. Univ. Prag; 1898 Dr. med. Zunächst arbeitete er als Ass. am Lehrstuhl für med. Chemie bei →Julius Pohl. 1906 habil. er sich für Pharmakol. mit der Arbeit „Die Gesetze der Hippursäuresynthese“ (in: Beitrr. zur chem. Physiol. und Pathol. 7) und erweiterte 1908 seine venia legendi um die Pharmakognosie („Pharmakognosie des Laubblattes von Magnifera indica L.“, in: Lotos 56). 1909 ao. Prof., ging W. 1910 an das Pharmakolog. Inst. von →Hans Horst Meyer nach Wien. Bereits 1911 kehrte er nach Prag zurück, wo er als o. Prof. Pohls Nachfolger und Leiter des Pharmakolog.-pharmakognost. Inst. wurde. Als fähiger Praktiker und Organisator machte er sich um den Aufbau der neuen Forschungsstelle in der oberen Neustadt verdient, die er zu einem vorbildhaften Inst. gestaltete; 1916/17 und 1926/27 Dekan der dt. med. Fak. W. verf. rund 80 wiss. Arbeiten zur Pharmakotherapie, zur Wirkung von Kokain und Atropin auf den menschl. Organismus, zum Einfluss von Analgetika auf den Blutkreislauf, ferner zum Purinstoffwechsel und zur Bildung von Harnsäure im Körper. Darüber hinaus erarbeitete er eine Methode zur quantitativen Bestimmung von Allantoin, beschäftigte sich mit dem Mineralstoffaustausch im Körper in Zusammenhang mit der Wirkung von Heilwasser sowie mit der biolog. Titration und Standardisierung von Drogen, womit er zu ihrer Anwendung in der therapeut. Praxis beitrug. Weiters beschrieb er die Wirkungen von Digitalis und Kampfer sowie die adsorbierenden und desinfizierenden Eigenschaften von Tierkohle auf den menschl. Organismus. In Zusammenarbeit mit der Pharmaind. machte er sich um die Herstellung von Insulin zu einer Zeit verdient, als dieses in der Tschechoslowakei nur schwer erhältl. war. W. hatte zudem von Jugend an enge Beziehungen zu dt. Künstlerkreisen in Prag. Zu seinen Freunden gehörten →Gustav Meyrink, →Paul Leppin, →Richard Teschner, der Bildhauer Karl Wilfert und →Alexander Moissi. W. beteiligte sich aktiv an der Tätigkeit des Ver. dt. bildender Künstler in Böhmen, 1928 nahm man ihn als o. Mitgl. in die Ges. zur Förderung dt. Wiss., Kunst und Literatur in Böhmen auf. Darüber hinaus war er Mitgl. zahlreicher nationaler und internationaler Fachges. Für die Dt. sozialdemokrat. Arbeiterpartei in der Tschechoslowak. Republik saß er 1920–25 im Senat. Seine Mutter, die Lehrerin und Schriftstellerin Wilhelmine W., geb. Meissner (Meißner), Ps. Fides (geb. Zwickau, Böhmen / Cvikov, CZ, 3. 12. 1834; gest. Praha, 23. 3. 1925), Tochter eines Arztes, besuchte in Prag das Lehrerinnenseminar (1854 Lehrerinnen-Examen) und erteilte Musik- sowie Engl.- und Französ.unterricht. Nach ihrer Heirat 1866 leitete sie gem. mit ihrem Mann dessen Knabeninternat. 1869 gründete sie in dem mit ihrem Mann geschaffenen Dt. pädagog. Ver. eine Frauensektion, deren Vorsitz sie acht Jahre lang führte. Wilhelmine W. galt als bedeutende Repräsentantin der mitteleurop. Frauenbewegung und Kämpferin für das Wahlrecht der Frauen. Ihr 1870 gehaltener Vortrag über die Frauenfrage war der erste öff. Vortrag einer Frau in Prag. 1893 war sie Mitbegründerin des Ver. Frauenfortschritt zur Förderung der Frauenbildung und für die polit. Gleichberechtigung. Daneben war Wilhelmine W. fachschriftsteller. tätig, u. a. publ. sie „Zur Erziehung in der Familie“ (1891), „Frauenleben und -bildung in Prag im 19. Jahrhundert“ (1903) sowie „Frau und Kind“ (1924), eine Smlg. ihrer Aufsätze. Darüber hinaus red. sie die „Blätter für Erziehung und Unterricht“.

Weitere W.: s. Knoll. – Wilhelmine W. (s. auch Wurzbach): Märchen-Buch, 1879; Ueber die Ernährung kleiner Kinder, 1890.
L.: Prager Abendztg., 20., Dt. Ztg. Bohemia, Prager Tagbl., 21. 12. 1928 (m. B.); F. Knoll, in: Lotos 77, 1929, S. 65ff. (m. B. u. W.); Časopis lékařů českých 68, 1929, S. 317ff.; W. Koerting, Die Dt. Univ. in Prag, 1968, S. 134f.; J. Janko, Vědy o životě v českých zemích 1750–1950, 1997, s. Reg.; Dějiny Univ. Karlovy 3–4, 1997–98, s. Reg.; L. Hlaváčková – P. Svobodný, Biograph. Lex. der dt. med. Fak. in Prag 1883–1945, 1998; I. Březinová, Spolková činnost sudetských Němek v Československu 1918–38, phil. DA Brno, 2012, S. 57 (auch für Wilhelmine W.); Pfarre Baden-St. Helena, NÖ; Akad. věd České republiky, Národní archiv, UA, alle Praha, CZ. – Wilhelmine W.: Prager Tagbl., NFP, 24. 3. 1925; Die Tat, 14. 9. 1951; Wurzbach (m. W.); Lex. dt. Frauen der Feder 2, 1898; Frauenbewegung, Frauenbildung und Frauenarbeit in Österr., 1930, S. 38.
(M. Makariusová – H. Meißner)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 179f.
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