Gleißner, Heinrich (1893–1984), Politiker

Gleißner Heinrich, Politiker. Geb. Linz (Oberösterreich), 26. 1. 1893; gest. ebd., 18. 1. 1984; röm.-kath. Sohn eines aus Bayern stammenden Werkmeisters und einer Innviertler Bauerntochter. – Nach der Matura am Staatsgymnasium in Linz 1912 begann G. ein Jusstudium an der deutschen Universität in Prag und wurde in die CV-Verbindung Saxo-Bavaria aufgenommen. Im August 1914 rückte er zum Tiroler Kaiserschützen-Regiment Nr. 3 in Innichen ein und lernte während der Ausbildung →Engelbert Dollfuß kennen. Als mehrfach ausgezeichneter Oberleutnant geriet G. zu Kriegsende in italienische Gefangenschaft. Nach der Heimkehr Ende Oktober 1919 setzte er sein Studium an der Universität Innsbruck fort und wurde 1920 zum Dr. iur. promoviert. G. trat in das Amt der oberösterreichischen Landesregierung ein, wurde im April 1921 Beamter beim Landwirtschaftlichen Genossenschaftsverband des oberösterreichischen Landeskulturrats, 1927 Prokurist der Warenvermittlung und 1933 Direktor-Stellvertreter der oberösterreichischen Landwirtschaftskammer. Ab 1926 war G. gewähltes Mitglied des Ausschusses des Katholischen Volksvereins, der Vorfeldorganisation der Christlichsozialen Partei in Oberösterreich. Die politische Karriere G.s war eng mit Dollfuß verbunden, den er auch aus dem CV und der Agrarpolitik kannte. Im August 1933 wurde er Landesleiter der Vaterländischen Front in Oberösterreich und im September 1933 Staatssekretär für Landwirtschaft und Siedlungswesen im Kabinett Dollfuß II. Nach dem von der Heimwehr erzwungenen Rücktritt des christlichsozialen Landeshauptmanns Josef Schlegel wurde G. auf Wunsch Dollfußʼ im März 1934 Landeshauptmann von Oberösterreich. Als solcher war er aktiv in die Befriedungsbemühungen mit nationalen Politikern und die Schaffung eines Nationalpolitischen Referats eingebunden, lehnte jedoch 1937 die Bestellung von Franz Langoth zum Leiter dieser Einrichtung ab. Am Abend vor dem „Anschluss“ war G. bei Kurt Schuschnigg in Wien, konnte aber die für den Abend des 12. März 1938 geplante Rede nicht mehr halten. NS-Gauleiter August Eigruber erklärte sich zum kommissarischen Landeshauptmann. G. wurde noch im März 1938 im Stift Schlägl verhaftet und im Mai in das KZ Dachau verbracht. Nach der Entlassung im Juni 1939 wurde er im Oktober erneut verhaftet, ins KZ Buchenwald eingeliefert und im Dezember in ein Gefängnis in Berlin überstellt. Über G. wurde ein Rückkehrverbot nach Österreich verhängt. Ab Jänner 1940 war er im SS-Betrieb Braunkohle-Benzin-AG zwangsverpflichtet, fand in diesem von der Gestapo überwachten Werk aber erste Kontakte zum deutschen Widerstand um Carlo Mierendorff und Theo Haubach. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde Haubach in G.s Wohnung verhaftet, G. selbst wurde des Hochverrats bezichtigt und tauchte unter. Im April 1945 konnte er nach Österreich zurückkehren und fungierte ab Mai als Leiter der Abteilung Landwirtschaft in der Landeshauptmannschaft. Nur kurz darauf wurde G. Mitglied einer Beamtenregierung unter Landeshauptmann →Adolf Eigl und war als Agrarreferent v. a. für die Bewältigung der schwierigen Ernährungslage zuständig. G., der Oberösterreich auf der ersten Länderkonferenz im September 1945 vertrat, wurde im Oktober durch die US-Militärregierung zum Landeshauptmann ernannt, wobei auch die einstigen politischen Gegner aus der Zeit des Ständestaats zustimmten. Bei der Landtagswahl im November 1945 errang die ÖVP mit G. als Spitzenkandidaten die absolute Mehrheit. Auch bei der Bundespräsidentenwahl 1951 kandidierte G., unterlag allerdings in der Stichwahl dem SPÖ-Kandidaten Theodor Körner. Die Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg war in Oberösterreich geprägt durch die Zusammenarbeit der beiden Großparteien ÖVP und SPÖ, verkörpert durch G. und den Linzer SPÖ-Bürgermeister Ernst Koref. Neben dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte die Achse G.–Koref auch kulturelle und Bildungsprojekte um, etwa 1966 die Gründung der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (heute: Johannes-Kepler-Universität Linz). Nach dem Verlust von Platz eins bei der Landtagswahl 1967 konnte G. nur mit Unterstützung der FPÖ im Amt des Landeshauptmanns verbleiben. Den Vorsitz der Oberösterreichischen Volkspartei, den G. ab 1951 innehatte, legte er 1968 nieder. Als Landeshauptmann trat er schließlich 1971 zurück. Wie kaum ein anderer Landespolitiker in Oberösterreich stand G. für den erfolgreichen Wiederaufbau und die Positionierung Oberösterreichs als Industrieland. Er erhielt u. a. 1953 das Großkreuz des Silvesterordens, 1959 das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich sowie 1960 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland. Das Gebäude, das seit 1951 die Landesparteizentrale der ÖVP Oberösterreich beherbergt, wurde 1984 nach G. benannt.

L.: H. Slapnicka, Oberösterreich zwischen Bürgerkrieg und Anschluß (1927–38), 2. Aufl. 1979, s. Reg.; Landeshauptmann H. G., ed. H. Forstner u. a., 1985; Oberösterreich und H. G. 1945–55, 2005; F. X. Rohrhofer, H. G. Lehrjahre eines Landesvaters, 2012.
(F. X. Rohrhofer)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)