Bárány, Robert (1876–1936), Otologe

Bárány Robert, Otologe. Geb. Wien, 22. 4. 1876; gest. Uppsala (S), 8. 4. 1936 (begraben: Solna); mos. Sohn des Holzfachmanns Ignaz Bárány (1841–1922) und der aus einer Prager Gelehrtenfamilie stammenden Marie Bárány, geb. Hock (1853–1922); ab 1909 verheiratet mit Ida Berger (geb. 1881); drei Kinder. – Nach dem Besuch des Kommunal-, Real- und Obergymnasiums in Wien 2 studierte B. ab 1894 Medizin an der Universität Wien; 1900 Dr. med. Während des Studiums führte er bei dem Histologen →Viktor von Ebner-Rofenstein Untersuchungen über die Lungennerven durch, 1898–99 hospitierte er an der IV. medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses. 1900 als Aspirant an der I. medizinischen Abteilung tätig, vertiefte B. zwei Jahre lang seine Kenntnisse in Deutschland, u. a. bei →Karl von Noorden und Emil Kraepelin. 1902 kehrte er als Aspirant zu →Adam Politzer nach Wien zurück, wo er gemeinsam mit →Gustav Alexander Untersuchungen über die Funktion des Statolithenapparats zur Orientierung im Raum an Taubstummen durchführte; später sollte er sich mit Alexander in wissenschaftlichen Diskussionen völlig überwerfen. 1902–03 fungierte B. als Operationszögling an der II. Chirurgischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus, 1903–05 als Demonstrator, 1905–11 als Assistent an der Universitätsklinik für Ohrenheilkunde; 1909 Privatdozent für Ohrenheilkunde. Im 1. Weltkrieg als Chirurg in die Festung Przemyśl kommandiert, entwickelte er dort zur Verhinderung von Infektionen eine neue Form der Wundbehandlung bei Gehirnverletzungen. 1915 geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1916 auf Intervention des schwedischen Königshauses entlassen wurde. Nach Wien zurückgekehrt, verweigerte ihm die medizinische Fakultät den Titel eines ao. Professors, worauf B. 1917 an die Universität Uppsala ging; 1926 o. Professor für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, baute er die Klinik für Ohrenheilkunde zu einem wissenschaftlich weltweit anerkannten Zentrum aus, dessen Leitung er 1930 übernahm. Ab 1903 gelang es B., Fragen des noch jungen Gebiets der Vestibularforschung zu klären. Seine Entdeckung der Gesetzmäßigkeit des kalorischen Nystagmus, der Augenzuckungen, die sowohl bei Ohrenspülungen mit kaltem als auch mit heißem Wasser auftreten, entwickelte er weiter zu einer der wichtigsten otologischen Untersuchungsmethoden, was erhebliche Fortschritte in der Therapie brachte. Aus den Studien über die bei der Vestibularreizung auftretenden Gleichgewichtsstörungen und Reaktionsbewegungen erwarb man zudem genaue Kenntnisse über ihren Sitz im Kleinhirn. 1909 gelang B. der Nachweis des Einflusses des Vestibularapparats über das Kleinhirn auf die Extremitätenmuskulatur. Daraus resultierte der B.sche Zeigeversuch zur Diagnose von Kleinhirnerkrankungen. Darüber hinaus entdeckte B. die Unerregbarkeit des Gleichgewichtsapparats bei Tumoren des VIII. Hirnnervs, wodurch eine frühzeitige Erkennung des Tumors und damit eine Verbesserung der Heilungschancen möglich wurde. Weiters interessierte er sich für den Einfluss von Alkohol und anderen Giften wie Nikotin auf den Gleichgewichtsapparat. B. befasste sich auch mit chirurgischen Fragen und entwickelte neue Operationsmethoden, u. a. bei der Behandlung der chronischen Mittelohreiterung. Bahnbrechend waren zudem seine Forschungen über das Labyrinth des menschlichen Ohrs. Von seinen über 180 vergleichend-anatomischen und -physiologischen sowie klinisch-experimentellen Arbeiten zu Ohr, Kleinhirn und Nervensystem ist seine Monographie „Physiologie und Pathologie (Funktions-Prüfung) des Bogengang-Apparates beim Menschen“ (1907) zu erwähnen. Ab 1919 war er Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift „Acta Oto-Laryngologica“. Sein Name fand u. a. mit dem B.-Syndrom, der B.-Drehstarkreizprüfung und der B.schen Lärmtrommel Eingang in die medizinische Nomenklatur. B., der als Begründer des neuen Fachs Oto-Neurologie gilt, erhielt u. a. 1912 gemeinsam mit Arthur Cheatle den Politzer-Preis, 1913 den Preis der Académie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique sowie die Wilhelm Erb-Gedenkmünze, 1914 den Guyot-Preis der Universität Groningen und 1914 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. 1924 Dr. h. c. der Universität Stockholm, war B. u. a. Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, der Gesellschaft für Innere Medizin in Wien, der Schwedischen Gesellschaft der Ärzte in Stockholm sowie ab 1926 Mitglied der Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher in Halle. 1937 wurde ein B.-Jubiläumspreis gestiftet, 1960 in Padua die B.-Gesellschaft gegründet.

Weitere W.: s. Kreuter.
L.: Czeike (mit Bild); Kreuter (mit W.); Wininger; E. Ruttin, in: WMW 65, 1915, Sp. 1680f.; I. Fischer, ebd. 86, 1936, Sp. 478f.; E. Schlander, in: Österreichische Naturforscher, Ärzte und Techniker, 1957, S. 125ff. (mit Bild); K. Burian, in: HMW-Jahrbuch, zusammengestellt O. Zekert, 1961, S. 9ff. (mit Bild); H. Diamant, in: Acta Oto-Laryngologica, Suppl. 406, 1984, S. 1ff. (mit Bild); H. Wyklicky, in: WKW 98, 1986, S. 622ff.; G. Joas, R. B. (1876–1936). Leben und Werk, ed. A. Geus – I. Müller, 1997 (mit Bild); D. Angetter, Die österreichischen Medizinnobelpreisträger, 2003, S. 8ff. (mit Bild); K. H. Tragl, Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838, 2011, s. Reg. (mit Bild); AVA, UA (mit Bild), beide Wien.
(D. Angetter)   
Zuletzt aktualisiert: 30.11.2015  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 4 (30.11.2015)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 1, 1954), S. 49
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