Geyer, Emil; eigentl. Goldmann (1872–1942), Theaterdirektor und Regisseur

Geyer Emil, eigentl. Goldmann, Theaterdirektor und Regisseur. Geb. Swojkowitz, Mähren (Svojkovice, CZ), 29. 11. 1872; gest. KZ Mauthausen (Oberösterreich), 1. 8. 1942; mos., ab 1899 evang. Sohn des Gutspächters Jakob Goldmann (1847–1923) und der Amalie Goldmann, geb. Schück (1850–1927), Bruder von Jeanette Herrmann, geb. Goldmann, Vater der Schauspielerin Eva Geyer, geb. Goldmann (1907–1975); ab 1906 mit der Berliner Schauspielerin Ellen Neustädter-Geyer (1885–1926; Suizid) verheiratet. – Nach der Matura am Gymnasium in Znaim übersiedelte G. nach Wien, wo er 1890–94 an der juridischen Fakultät der Universität studierte und 1895 zum Dr. iur. promoviert wurde. Von April bis Oktober 1896 war er an der Universität Berlin als Student der Nationalökonomie immatrikuliert, führte dieses Studium allerdings nicht fort, da er eine Laufbahn am Theater anstrebte. Mit der Konversion 1899 ging wohl die Annahme des Künstlernamens Geyer einher, der ab 1902 belegt ist. Nach Anfängen als Schauspieler, u. a. an der Neuen Freien Volksbühne des Berliner Belle-Alliance-Theaters, war G. am Düsseldorfer Schauspielhaus als Spielleiter und Dramaturg tätig, bis er 1907 Leiter des Märkischen Wandertheaters wurde. Mit seiner Familie kehrte er 1912 nach Wien zurück, wo er die Leitung der Neuen Wiener Bühne in der Harmoniegasse (Wien 9) übernahm und sich hier insbesondere für die Inszenierung zeitgenössischer Dramen, oft gegen die Theaterzensur, einsetzte. Gelang ihm dies beispielsweise bei Frank Wedekinds „Büchse der Pandora“ oder Oskar Kokoschkas „Schauspiel“ (der ersten Fassung von „Der brennende Dornbusch“), sollte ihm die Aufführung von →Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ an der Neuen Wiener Bühne versagt bleiben. Namen wie Salomea Steuermann (später Salka Viertel), Elisabeth Bergner, Karl Farkas, →Leo Reuss oder Georg Wilhelm Pabst finden sich auf der langen Liste der in G.s Ensemble auftretenden Schauspielpersönlichkeiten. Für Reuss verließ Ellen Neustädter-Geyer 1921 ihren Mann, der in der Folge nach Berlin ging und fortan als Oberregisseur und Direktionsstellvertreter bei dem Theaterunternehmer Eugen Robert wirkte. Als er 1926, nach Ellens Suizid, erneut nach Wien zurückkehrte, ernannte ihn sein langjähriger Freund →Max Reinhardt zum stellvertretenden bzw. geschäftsführenden Leiter des Theaters in der Josefstadt und 1930 zum bevollmächtigten Direktor des Reinhardt-Seminars. In der Josefstadt, die wie andere Bühnen von der Wiener Theaterkrise betroffen war, löste der junge Otto Preminger G. 1933 ab, der weiterhin mit Regiearbeiten, u. a. am Deutschen Volkstheater, erfolgreich war. Kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde G. aufgrund seiner Klassifizierung als Jude aus dem Reinhardt-Seminar entlassen, das unter dem Nationalsozialisten Hans Niederführ als Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn weitergeführt wurde. Die erhaltenen Dokumente der eigens zur Zwangsenteignung von Jüdinnen und Juden eingerichteten NS-Vermögensverkehrsstelle zeigen die sukzessive Verringerung von G.s Besitztümern, insbesondere seiner Kunst- und Büchersammlung, deren Verbleib bis heute ungeklärt ist. Zwar gelang es seiner Tochter und deren Ehemann Paul Singer mit seiner Hilfe in die USA zu fliehen, doch G., der nun wieder seinen Geburtsnamen führen musste und auch in immer größere finanzielle Nöte geriet, vermochte nicht mehr, das Land zu verlassen. Folgenlos blieben seine vielen Hilfegesuche, u. a. an seinen engsten Vertrauten →Richard Beer-Hofmann oder an Max Reinhardts Sekretärin Gusti Adler im US-amerikanischen Exil bzw. an seinen Kollegen Erhard Buschbeck, der in der Direktion des Wiener Burgtheaters tätig war. Nach seiner zwangsweisen Übersiedelung in eine Sammelwohnung unternahm G. gemeinsam mit seiner Schwester und deren Ehemann Otto Richard Herrmann einen Fluchtversuch, bei dem sie nahe der ungarischen Grenze von der Gestapo aufgegriffen wurden. G. wurde Ende Juli 1942 ins Konzentrationslager Mauthausen abtransportiert und am Tag nach seiner Ankunft „auf der Flucht erschossen“.

W. (s. auch Bachmann): Vom Pathos der Zeit, 1908.
L.: H. Haider-Pregler, in: Theater als Ort der Geschichte, ed. Th. Girshausen – H. Thorau, 1998, S. 185ff.; I. Bachmann, E. G. (1872–1942). Regisseur – Theaterleiter – Pädagoge – Schauspieler, phil. Diss. Wien, 2003 (mit W.); P. Roessler, in: Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt Seminars, ed. P. Roessler u. a., 2004, S. 11ff. (mit Bildern); E. Fuhrich, in: Das Theater in der Josefstadt. Kultur, Politik, Ideologie für Eliten?, ed. G. M. Bauer – B. Peter, 2010, S. 47ff. (mit Bild); P. Schölnberger, in: Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung, ed. E. Blimlinger – H. Schödl, 2014, S. 135ff.
(P. Schölnberger)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)