Lynker, Anna (1834–1928), Malerin

Lynker Anna, Malerin. Geb. Wien, 28. 2. 1834; gest. Abbazia, Italien (Opatija, HR), 29. 9. 1928. Außereheliche, aber legitimierte Tochter von Moritz Lynker, Inhaber einer Porzellanmanufaktur in Wien, und Rosalia Stilfried. – L. erhielt ihren ersten Zeichenunterricht bei dem Porträt- und Genremaler Leopold Pollak in Wien, 1854 übersiedelte sie nach Graz und arbeitete während des Kriegs von 1859 als freiwillige Krankenschwester. 1863 studierte sie bei Johann Wilhelm Schirmer in Karlsruhe, danach an der Akademie in Düsseldorf bei Albert Flamm. In den Folgejahren führte sie den Haushalt der Familie von →Anton Graf Prokesch von Osten, dessen Frau, die Pianistin →Irene Kiesewetter von Wiesenbrunn, in Graz einen Salon betrieb. L. war auch als Gesellschaftsdame, Reisebegleiterin und wissenschaftliche Assistentin für Prokesch von Osten tätig und begleitete ihn und seine Familie in den Vorderen Orient und nach Ägypten. Dort besuchte sie die antiken Fundstätten und schuf Ansichten davon in Aquarelltechnik. L. machte die Bekanntschaft →Joseph Freiherr von Schwegels und bereiste gemeinsam mit diesem und Prokesch von Osten 1869 die Baustelle des Suezkanals, wo sie dessen Planer Ferdinand Marie de Lesseps kennenlernte. 1882 übersiedelte sie auf Initiative einer Tochter von Prokesch von Osten nach Abbazia, wo auch Schwegel eine Villa besaß, erwarb 1883 die Villa „Anna“ und schuf ab diesem Zeitpunkt Ansichten und Details der Landschaften in und um diesen Küstenort. 1894–96 folgten Aufenthalte in Sarajewo, Split und Trogir; die dort entstandenen Arbeiten veröffentlichte sie 1895 und 1899 in der Zeitschrift „Nada“. Aus der österreichischen Orientmalerei, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Blüte erlebte, ragt L. (gemeinsam mit →Marie Müller) als Frau heraus. Ihre Aquarelle bieten akribische Ansichten der antiken Stätten (Smyrna, Syrien, Libanon, Ägypten), geben aber auch Einblick in das rege Leben auf den Märkten z. B. von Konstantinopel oder Damaskus. Bemerkenswert ist, dass sie die Aquarelle in Farblithographien umsetzen ließ und einige davon selbst herausgab. Sie sind in einem prächtigen Portfolio als „Nil-Album“ (um 1870/75) versammelt, von dem nur wenige Exemplare existieren. L. war Mitglied des Vereins der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien und hatte 1908 eine Personale in Abbazia. Weiters stellte sie ihre Arbeiten u. a. im Österreichischen Kunstverein, Wien (1860, 1863, 1865), im Steiermärkischen Kunstverein, Graz (1865–66, 1869, 1879, 1881, 1891–92, 1895), in Abbazia (1900, 1902) und in Capodistria (1910) aus. Ihre Werke befinden sich in der Neuen Galerie, im Steiermärkischen Landesarchiv (beide Graz), in der Narodna galerija Slovenije und im Narodni muzej Slovenije (beide Ljubljana), in der Bayerischen Staatsbibliothek (München) sowie in der Albertina und der Österreichischen Nationalbibliothek (beide Wien).

L.: Fuchs, 19. Jh.; Thieme–Becker; Wastler; Wurzbach; R. List, Kunst und Künstler in der Steiermark 2, 1967; D. Bertsch, A. Prokesch von Osten, 2005, S. 673; Österreichische Riviera. Wien entdeckt das Meer, ed. Ch. Rapp – N. Rapp-Wimberger, Wien 2013, S. 239 (Kat.); L. Tavčar, Vzporedni svetovi. Risarke in slikarke prve polovice 19. stoletja na Kranjskem, 2014, S. 311ff.; L. Tavčar, in: Argo. Časopis slovenskih muzejev 60/2, 2017, S. 28ff.; E. Czerny – Ch. Gruber, in: Orient & Okzident, ed. B. Haider-Wilson – M. Graf, 2017, S. 519ff.; V. Kamin Kajfež, in: Egypt and Austria XI. In Search of the Orient, 2018, S. 177ff.; Ladies First! Künstlerinnen in und aus der Steiermark 1850–1950, ed. G. Danzer, Graz 2020, S. 98ff., 382 (Kat.); Künstler/innenarchiv Neue Galerie, Graz, Steiermark.
(G. Danzer)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)