Rosé (Příhoda-Rosé, van Leeuven-Boomkamp), Alma (1906–1944), Geigerin und Dirigentin

Rosé (Příhoda-Rosé, van Leeuwen Boomkamp) Alma, Geigerin und Dirigentin. Geb. Wien, 3. 11. 1906; gest. KZ Auschwitz, Deutsches Reich (PL), 5. 4. 1944; mos., ab 1907 evang. HB, ab 1933 röm.-kath. Tochter von →Arnold Rosé und Justine Rosé, geb. Mahler (geb. Iglau, Mähren / Jihlava, CZ, 15. 12. 1868; gest. Wien, 22. 8. 1938), Nichte von →Eduard Rosé und →Gustav Mahler, Patenkind von Alma Mahler-Werfel, Schwester des Dirigenten, Komponisten und Pianisten Alfred Rosé (geb. Wien, 11. 12. 1902; gest. Ontario, CDN, 7. 5. 1975); 1930–36 verheiratet mit dem Geiger Váša Příhoda (geb. Wodňan, Böhmen / Vodňany, CZ, 22. 8. 1900; gest. Wien, 26. 7. 1960), 1942 Scheinehe mit Constant August van Leeuwen Boomkamp. – R. erhielt zunächst bei ihrem Vater Geigenunterricht. Mit 13 Jahren wurde sie an die Akademie für Musik und darstellende Kunst aufgenommen, wo sie in die Klasse von →Otakar Ševčík kam. Im Dezember 1926 debütierte sie in Wien im Großen Musikvereinssaal als Duopartnerin ihres Vaters im Doppelkonzert von Johann Sebastian Bach BWV 1043, begleitet von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Adolf Busch. In den folgenden Jahren betrieb R. ihre Karriere als Violinvirtuosin mit einigem Erfolg, wurde aber stets als Tochter des berühmten Arnold Rosé wahrgenommen. 1927 lernte sie den tschechischen Geiger Váša Příhoda kennen, der internationale Erfolge feierte. Nach der Hochzeit lebten sie in einer eigens erbauten Villa in Záryby nahe Prag. Die Ehe verhalf R. automatisch zu einem tschechischen Pass. Um selbstständig zu sein, gründete sie 1932 ein Damenorchester mit dem Namen Wiener Walzermädeln. Höchste Perfektion bei auswendigem Vortrag war ihr Ziel, exquisite Unterhaltung der Weg zum Erfolg. Im Repertoire fanden sich Walzer, Polkas und populäre Operettenmusik, aber auch gehobene Musik von Frédéric Chopin, →Franz Schubert und →Anton Dvořák. Neben R. als Solistin wirkte regelmäßig eine Sängerin mit. Die Besetzung des Orchesters bestand aus Streichern mit Klavier und Harfe. Wiener Auftrittsorte waren der Zirkus Busch im Prater, das Apollo-Filmtheater oder das Ronacher. Auswärtige Tourneen erstreckten sich u. a. auf Berlin, Warschau, Prag, Zürich, Paris, Den Haag und Kopenhagen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 verschlechterte sich die Lage auch für R. schlagartig, das Damenorchester musste aufgelöst werden. Für R. war der tschechische Pass nützlich, denn er erlaubte ihr, frei zu reisen. Sie fuhr nach London, um für ihren Vater – die Mutter war bereits verstorben – eine Aufenthaltsmöglichkeit zu erkunden. Anfang 1939 erreichte er tatsächlich England. Drei Monate nach Ausbruch des 2. Weltkriegs flog R. nach Amsterdam, um im dortigen Grand Hotel Central aufzutreten. Als die Deutschen im Mai 1940 in den Niederlanden einmarschierten, war das Rückkehr-Visum, mit dem sie nach Amsterdam gelangt war, abgelaufen. Zunächst noch unbehelligt, kam sie Anfang August 1942 in Haft, wurde aber, dank ihrer Scheinehe mit einem Niederländer, am selben Tag wieder entlassen. Freunde in den Niederlanden organisierten nun für sie eine Flucht in die Schweiz, die jedoch misslang. Sechs Monate im Lager Drancy interniert und im Juli 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wurde sie dort von der Kommandantin des Frauenlagers, Maria Mandl, als Geigerin identifiziert und dem Musikkommando zugeteilt. R. leitete das sogenannte Mädchenorchester von Auschwitz und konnte in dieser Funktion jüdischen Musikerinnen das Leben retten. Ihr Tod wurde höchstwahrscheinlich durch eine Lebensmittelvergiftung verursacht. Mehrere Mitglieder des Orchesters überlebten, darunter die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch. Sie besuchte 1946 Arnold Rosé und berichtete ihm vom Schicksal seiner Tochter. Eine historische Aufnahme R.s und ihres Vaters mit Bachs Doppelkonzert BWV 1043 erschien bei Biddulph Recordings. An R. erinnert das Alma Rosé Plateau im Haus der Geschichte Österreich, Wien.

L.: MGG II (Familienartikel); NDB; oeml (Familienartikel); M. Schwalbová, Elf Frauen. Leben in Wahrheit. Eine Ärztin berichtet aus Auschwitz-Birkenau 1942–45, 1994, passim; A. Lasker-Wallfisch, Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz. Erinnerungen, 2001, passim; R. Newman – K. Kirtley, A. R., Wien 1906 / Auschwitz 1944, 2003 (mit Bild); Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, ed. C. Maurer Zenck – P. Petersen (online, Zugriff 7. 4. 2021); evangelische Pfarre HB Wien-Innere Stadt.
(P. Petersen)   
Zuletzt aktualisiert: 20.12.2021  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 10 (20.12.2021)