Charoux, Siegfried (Joseph); bis 1914 eigentl. Buchta, danach Charous, als Karikaturist Deckname Chat roux, ab 1926 Künstlername und amtlicher Name Charoux (1896–1967), Bildhauer, Karikaturist, Maler und Zeichner

Charoux Siegfried (Joseph), bis 1914 eigentl. Buchta, danach Charous, als Karikaturist Deckname Chat roux, ab 1926 Künstlername und amtlicher Name Charoux, Bildhauer, Karikaturist, Maler und Zeichner. Geb. Wien, 15. 11. (10.) 1896; gest. London (GB), 26. 4. 1967 (begraben: Wiener Zentralfriedhof, ehrenhalber gewidmetes Grab); röm.-kath., später konfessionslos. Sohn der Kleidermacherin Anna Buchta, geb. Charous, und des technischen Beamten Josef Kinich; ab 1926 verheiratet mit der aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammenden Margarethe Treibl. – Nach Besuch der Bürgerschule arbeitete C. für kurze Zeit als Mechaniker. Durch eine Schussverletzung im 1. Weltkrieg 1916 wurde seine rechte Hand gelähmt, diese konnte jedoch nach einer Operation vollständig geheilt werden. Seine ersten bildhauerischen Versuche entstanden während seiner Beschäftigung als Mechaniker in der optischen Anstalt C. P. Goerz, in der er ab 1917 als 50-prozentiger Kriegsinvalide angestellt war. Nach dem Besuch einer Schauspielschule 1918/19 wandte er sich ab 1919 endgültig der Bildhauerei zu. Laut eigenen Aussagen war er für kurze Zeit Schüler in der Kunstgewerbeschule unter →Anton Hanak (nicht belegt). C. begann 1919 ein Privatstudium bei Josef Heu, 1922–24 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei →Hans Bitterlich (kein Abschluss). 1923–28 betätigte er sich als politischer Karikaturist u. a. bei der „Arbeiter-Zeitung“. C., der ab 1926 ein Bildhaueratelier in Wien betrieb, debütierte 1927 auf der Wiener Kunstschau mit einem Entwurf für ein Robert-Blum-Denkmal. In der Folge entstanden weitere politische Plastiken (u. a. eine Lenin-Büste und ein Entwurf für ein Matteotti-Denkmal). Ab den 1930er-Jahren kamen statischer wirkende Darstellungen unter dem Einfluss der Kunst Wilhelm Lehmbrucks hinzu („Der Prediger“, um 1931). Die einzige noch existierende Arbeit im öffentlichen Raum aus der Zwischenkriegszeit ist der „Fries der Arbeit“ für den Zürcher-Hof in Wien 10 (1931). Im Juni 1935 wurde das Lessing-Denkmal auf dem Wiener Judenplatz enthüllt, für das C. 1930 als Wettbewerbssieger hervorgegangen war (1939 entfernt und für Rüstungszwecke eingeschmolzen). Die politischen Verhältnisse in Österreich veranlassten C. und seine Frau dazu, Wien im September 1935 in Richtung Großbritannien zu verlassen. Nach der Ankunft in London nahm er Kontakt u. a. mit David Astor, dem späteren Herausgeber der Zeitung „The Observer“, auf. Im Londoner Studio beschäftigte sich C. verstärkt mit dem Material Terrakotta, ab 1940 stellte er regelmäßig in den Sommerausstellungen der Royal Academy of Arts aus. Im selben Jahr wurde er als Enemy Alien für zwei Monate auf der Isle of Man interniert. Ab den 1940er-Jahren entstanden Figuren in klassischerer Anmutung in Orientierung an Aristide Maillol und an in London gesehenen Bildhauerarbeiten. Daneben arbeitete er 1941 gemeinsam mit seiner Frau zeitweise als Nachrichtensprecher für die deutschsprachigen Propagandaprogramme der BBC. Den Krieg verarbeitete C. in den Plastiken „Pietà“ (1943) und „Authority“ (um 1944). Die Vermittlung von Frieden und Humanität wurde zur wichtigsten Botschaft seiner Plastik („Freunde“, 1943). Auf Einladung der Stadt Wien besuchte C. 1947 erstmals wieder Österreich. Obwohl von der Personalkommission an erster Stelle gereiht, wurde er bei der Professorenbestellung an der Akademie der bildenden Künste 1948 in der Nachfolge von Josef Müllner übergangen. Seit 1946 britischer Staatsbürger, wurde C. 1949 zum korrespondierenden und 1956 zum o. Mitglied der Royal Academy of Arts ernannt und unterrichtete an der Royal Academy Sculpture School. Ab den 1950er-Jahren machte er in London mit Arbeiten im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam (Monumentalrelief „The Islanders“ für das Festival of Britain, 1951; „The Neighbours“, 1959). Sein erster Auftrag der Stadt Wien nach dem 2. Weltkrieg war das Denkmal für →Hugo Breitner (1957), weitere Aufträge und Ankäufe folgten (Richard-Strauss-Denkmal, 1958; Bertha-von-Suttner-Denkmal, 1959). Ab Mitte der 1950er-Jahre baute C. seine Plastiken, die eine immer stärkere kubische Auflösung erfuhren, aus glasfaserverstärkten Kunstharzmischungen auf. Ausgehend vom Richard-Strauss-Denkmal stellte er wiederholt Musiker und Musikergruppen dar („Cellist“, um 1957/58). Im Zyklus „Zivilisation“ fasste er jene Arbeiten zusammen, in denen er seine Lebensumwelt in mitunter sarkastisch-karikierendem Unterton darstellte („Motorradfahrer“, 1957; „Zeitungsleser“, 1960; „Richter“, um 1961; „Überlebender“, um 1962). C.’ malerisches und zeichnerisches Œuvre, vorerst unabhängig vom plastischen Schaffen, fand im Spätwerk zu inhaltlichen und stilistischen Entsprechungen zu seiner Bildhauerei. 1963 beauftragte die Stadt Wien C. mit der Wiederrichtung des Lessing-Denkmals, das er trotz Krebserkrankung 1965 fertigstellte. Nach seinem Tod wurde es 1968 zuerst auf dem Wiener Morzinplatz aufgestellt, seit 1981 befindet es sich wieder auf dem Judenplatz. 1958 wurde C. der Berufstitel Professor verliehen. Das Siegfried Charoux-Museum (später Langenzersdorf Museum) beherbergt seit 1982 C.’ künstlerischen Nachlass als Schenkung seiner Witwe.

L.: Hdb. der Emigration 2; ÖKL; Vollmer; H. K. Groß, S. C. Die Wiener Jahre des Karikaturisten und Bildhauers, 1997; Ch. Waltl, S. C. Ein Bildhauer im englischen Exil, DA Wien, 1997; B. R. Tammen, in: Musicologica Austriaca 31/32, 2012/13, (2014), S. 177ff.; G.-A. Bockstefl, S. C. Bildhauer und Maler, 2017; Website Langenzersdorf Museum (mit Bild, Zugriff 14. 5. 2019); Wien Geschichte Wiki (mit Bild, Zugriff 14. 5. 2019); ABK, Wien.
(G.-A. Bockstefl)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)