Ender, Otto (1875–1960), Politiker und Jurist

Ender Otto, Politiker und Jurist. Geb. Altach (Vorarlberg), 24. 12. 1875; gest. Bregenz (Vorarlberg), 25. 6. 1960; röm.-kath. Enkel des Stickferggers (kaufmännischer Vermittler zwischen Textilindustrie und Heimarbeitern), Gemeindevorstehers und Landtagsabgeordneten Jakob Ender (geb. Altach, 8. 3. 1808; gest. ebd., 8. 8. 1888), Sohn des Stickferggers und Bauern Hermann Ender (geb. Altach, 18. 9. 1842; gest. ebd., 2. 12. 1928) und dessen Frau Viktoria Ender, geb. Walser (geb. Altach, 7. 6. 1853; gest. 1. 4. 1911), die ein Gemischtwarengeschäft betrieb; ab 1908 verheiratet mit der aus dem Appenzell stammenden Maria Ender, geb. Rusch (geb. 11. 10. 1884). – E. absolvierte 1888–96 das Jesuitengymnasium Stella Matutina in Feldkirch und studierte 1896–99 Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck (1896–98), wo er auch Mitglied der CV-Verbindung Austria war, dann in Freiburg im Üechtland (1898–99), Prag (1899), Wien (1899–1900, Mitglied in der CV-Verbindung Norica Wien) und schließlich abermals in Innsbruck (1900–01). Dort promovierte er 1901 zum Dr. iur. E. begann seine Karriere 1901 als Rechtspraktikant am Landesgericht Feldkirch und war 1902–08 als Advokaturskonzipient in Feldkirch und Wien tätig. 1908 ließ er sich als Advokat in Bregenz nieder. 1913 übernahm er einen Direktorsposten bei der Hypothekenbank des Landes Vorarlberg; 1915–18 stellvertretender Oberdirektor. Daneben fungierte er während des 1. Weltkriegs als Leiter der Kriegs-Getreideverkehrsanstalt, Filiale Bregenz, sowie als Mitglied des Ernährungsrats in Wien und Leiter der Vorarlberger Landeseinkaufsstelle. Ab 1902 trat E. als Redner in katholischen Vereinen, insbesondere im christlichsozialen Volksverein, auf. In vielen Orten Vorarlbergs hielt er Vorträge über juristische und sozialpolitische Themen und sprach häufig bei Wählerversammlungen. 1912 scheiterte allerdings seine Kandidatur als Abgeordneter zum Landtag. 1914 wurde er Landesparteiobmann der Christlichsozialen und Anfang November 1918 als Nachfolger →Adolf Rhombergs Landeshauptmann von Vorarlberg. Den Bestrebungen für einen Anschluss des Landes an die Schweiz – in einer Volksabstimmung im Mai 1919 sprachen sich über 80% für die Aufnahme entsprechender Verhandlungen aus – stand E. skeptisch gegenüber. Er regierte fortan im Rahmen der Verfassung mit größtmöglicher Autorität, etwa bei der Bekämpfung von Streiks, dem Aufbau des von ihm kontrollierten Heimatdiensts oder wenn er übertriebene Zensurmaßnahmen anordnete und Arbeitslose abschieben ließ, was ihm den Spitznamen „Ender Pascha“ eintrug. 1920–34 vertrat er Vorarlberg im Bundesrat. Im Landtagswahlkampf 1928 exponierte sich E. auch antisemitisch und sprach sich zwar gegen eine Verfolgung, aber für die Beschneidung staatsbürgerlicher Rechte von Juden aus. Von großer Bedeutung waren der von E. forcierte Ausbau der Elektrowirtschaft und deren Finanzierung durch Beteiligung ausländischer Kapitalgruppen. Innerhalb der österreichischen Christlichsozialen zählte E. zum demokratischen Flügel, nicht zuletzt deshalb, weil er sich stets gegen politische Experimente seitens der Heimwehr aussprach und den „Korneuburger Eid“ scharf kritisierte. Von →Jodok Fink wurde er mehrfach als möglicher Minister oder Bundeskanzler ins Spiel gebracht. Im Dezember 1930 konnte E. für die Bildung eines neuen Kabinetts gewonnen werden. Seine Amtszeit als Bundeskanzler (Dezember 1930 bis Juni 1931) begann mit der erfolgreichen Verhandlung des Finanzausgleichs, war aber von Rückschlägen bei der notwendigen Reform der Sozialversicherung gekennzeichnet und gipfelte im Rücktritt des Sozialministers →Josef Resch. E.s Demission war mit dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, der größten Bank Österreichs, verknüpft. Von ihm geforderte Sondervollmachten für die Neubildung eines Kabinetts bewilligte die Opposition nicht. E. wurde im Juli 1933 als Minister ohne Portefeuille in das Kabinett von →Engelbert Dollfuß mit dem Auftrag berufen, eine ständische Verfassung auszuarbeiten. Er übernahm diese Aufgabe in der Überzeugung, dass die österreichische Bevölkerung „für die Demokratie nicht reif sei“ (Ministerrat, März 1934). Nicht nur sein Ruf als Demokrat war damit ruiniert, er beteiligte sich dadurch maßgeblich an der Zerstörung der Demokratie selbst. Die zu einer göttlichen Stiftungstheorie Zuflucht nehmende Verfassung des Ständestaats trat schließlich im Mai 1934 in Kraft und wurde von E. als ihrem Redakteur selbst kommentiert herausgegeben („Die neue österreichische Verfassung, mit dem Text des Konkordates“, 1934). Nach seinem Rücktritt als Minister im Juli 1934 wurde er zum Präsidenten des Rechnungshofs berufen. In der Folge demissionierte er auch als Landeshauptmann. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im August 1938 des Amts enthoben, verzichtete er nach dem Ende des 2. Weltkriegs auf die Übernahme politischer Funktionen.

Weitere W.: Die Schule in der neuen Verfassung, 1935. – Ed.: Die Übergangsbestimmungen zur neuen österreichischen Verfassung, 1934; Vorarlberg und Oesterreich, in: Montfort 1, 1946; Vorarlbergs Schweizer-Anschluß-Bewegung von 1918 bis 1924, 1952.
L.: H. Huebmer, Dr. O. E., 1957; G. Wanner, in: Die österreichischen Bundeskanzler, ed. F. Weissensteiner – E. Weinzierl, 1983, S. 160ff. (mit Bild); W. Dreier, Zwischen Kaiser und „Führer“. Vorarlberg im Umbruch 1918–38, 1986, s. Reg. (mit Bild); P. Melichar, in: Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. H. Haas zum 70. Geburtstag, ed. E. Hiebl – E. Langthaler, 2012, S. 185ff.; P. Melichar, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 26, 2015, Nr. 1, S. 128ff.; E. Wiederin, in: Montfort 67, 2015, H. 2, S. 153ff.; Website des Vorarlberger Landtags (Zugriff 10. 4. 2017); AdR, WStLA, beide Wien; UA, Innsbruck, Tirol; Vorarlberger Landesarchiv, Bregenz, Pfarre Altach, beide Vorarlberg.
(P. Melichar)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)