Dittel, Leopold Ritter von (1815–1898), Urologe und Chirurg

Dittel Leopold Ritter von, Urologe und Chirurg. Geb. Fulnek, Mähren (CZ), 29. 5. 1815; gest. Wien, 28. 7. 1898; mos., ab 1847 röm.-kath. Sohn des Gutspächters und Destillateurs Abraham Dittel und der Marianne (Maria Anna) Dittel, geb. Oppenheim, Vater u. a. des Gynäkologen →Leopold von Dittel; ab 1861 verheiratet mit Marie Edle von Dittel, geb. Girtler, Tochter des Chemikers und Apothekers Dr. Gottfried Girtler. – Nach dem Besuch des Gymnasiums in Troppau sowie in Brünn studierte D. ab 1836/37 Medizin an der Universität Wien; 1840 Dr. med., 1841 Dr. chir. und Mag. obstet., 1843 Oculista. 1841–42 leitete D. das von August Zink gegründete gymnastisch-orthopädische Institut in Wien, danach fungierte er 1842–47 im Sommer als Badearzt in Trentschinteplitz und betrieb daneben eine Arztpraxis. Ab Anfang 1848 externer, ab 1850 interner Präparand, versah er Dienst im Augarten-Filialspital und in der Choleraabteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien bei dem Anatomen und Gerichtsmediziner Johann Dlauhy. 1850 kam D. als Zögling an das Operateurinstitut, 1851–53 besuchte er Kurse bei →Bernhard Seyfert, →Franz Schuh, →Josef von Skoda, →Karl Freiherr von Rokitansky sowie →Ferdinand von Hebra. Seine Karriere setzte er 1852–57 als Assistenzarzt bei →Johann Freiherr Dumreicher von Österreicher fort, währenddessen er sich 1856 mit einer Schrift über die Verkürzung der Achillessehne bei Pes equinus für Chirurgie habilitierte. 1859 wirkte er als supplierender Leiter der III. chirurgischen Abteilung, 1860 als supplierender Leiter der Reserveabteilung der II. Chirurgischen Klinik und 1861 als supplierender Primararzt der I. Chirurgischen Klinik im Allgemeinen Krankenhaus. 1861 wurde er zunächst zum Primarwundarzt und dann zum Primararzt der III. chirurgischen Abteilung ernannt; 1865 ao. Professor, lehnte er 1880 die o. Professur in Nachfolge Dumreichers ab, um weiterhin an seinen zahlreichen urologischen Patienten und deren Krankengeschichten arbeiten zu können. 1890 zum Hofrat ernannt, gab er 1891 seine Lehrtätigkeit auf. Die III. chirurgische Abteilung führte er jedoch noch bis 1896, ebenso seine Privatpraxis. D. förderte die Urologie als neue Spezialdisziplin in Wien und befasste sich mit der gesamten Bandbreite des Fachs, darunter Erkrankungen der Blase, der Harnröhre und der Prostata. Als Erstem gelang es ihm, suprapubisch einen Kautschukkatheter anzulegen. An seiner Abteilung wurden 1878/79 verschiedene Prototypen des Nitzeschen Zystoskops erstmals erprobt. Im Mai 1879 demonstrierte D. die Praktikabilität dieses Geräts vor der Gesellschaft der Ärzte. Aber auch die Chirurgie wurde durch ihn bereichert, namentlich u. a. mit Arbeiten über die Halsfaszien, über Coxalgie, über elastische Ligatur sowie durch neue Methoden in der Abdominalchirurgie. Eng mit seinem Namen sind heute noch der D.-Stift, ein Instrument zur Dehnung des Harnröhreneingangs, sowie die D.-Forgue-Legueu-Operation zur Therapie von Blasen- und Scheidenfisteln verbunden. Erwähnenswert sind seine „Beiträge zur Pathologie und Therapie der männlichen Geschlechtstheile“ (in: Allgemeine Wiener medizinische Zeitung 4–5, 1859–60) sowie „Die Stricturen der Harnröhre“ (in: Handbuch der allgemeinen und speziellen Chirurgie 3, Abteilung 2B, ed. Theodor Billroth – Franz Pitha, 1871). Ab 1850 Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, war er ab 1890 Mitglied ihres vierköpfigen Baukomitees und wurde 1892 zum Vizepräsidenten, 1894 zum Präsidenten und 1898 zum Ehrenpräsidenten dieser Gesellschaft gewählt. Darüber hinaus war er u. a. Mitglied des Wiener medizinischen Doctoren-Collegiums, der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, des Vereins deutscher Ärzte in Paris und in Milwaukee, Mitglied ärztlicher Vereine in Graz, Laibach und Bonn, Ehrenmitglied der Société belge de chirurgie und der Pirgow-Gesellschaft russischer Ärzte. 1864 erhielt er das Ritterkreuz des Ordens zum Heiligen Michael, 1866 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1867 das Komturkreuz II. Klasse des sächsischen Albrechts-Ordens sowie 1881 den Orden der Eisernen Krone III. Klasse und wurde im selben Jahr in den Ritterstand erhoben.

Weitere W. (s. auch NDB; Pagel): Dissertatio inauguralis medica de cosmeticis: quam censensu et auctoritate illustrissimi ac magnifici domini praesidis ec directoris ..., med. Diss. Wien, 1840; Ein fremder Körper in der Harnblase, entfernt durch den Mastdarm-Blasenschnitt, in: Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien 10, 1854; Erfahrungen über die Wundbehandlung nach Lister, 1877; Aneurisma verum der Carotis communis sinistra, in: WMW 27, 1877; Die dreihundert Blasenstein-Operationen, ebd. 32, 1882; Ueber fünfzig weitere Steinoperationen, ebd. 38, 1888; Zur Uterusruptur, in: Archiv für Gynäkologie 44, 1893. – Teilnachlässe: HHStA, Josephinum, Österreichische Nationalbibliothek, alle Wien.
L.: Wiener Abendpost, 28., NFP, 29. 7. 1898 (Parte); Hdb. jüd. AutorInnen; Lesky, s. Reg.; NDB (mit W.); Pagel (mit W.); (M.) Allina, in: Wiener klinische Rundschau 12, 1898, S. 534ff.; E. Albert, ebd., S. 706ff.; British Medical Journal 2, 1898, S. 750f.; Gynecologic and Obstetric Investigation 8, 1898, S. 323f.; Lancet 152, 1898, S. 439; WMW 48, 1898, Sp. 1531ff.; L. Schönbauer, Das medizinische Wien, 2. Aufl. 1947, s. Reg. (mit Bild); H. Gröger, in: XXVI. Nikolsburger Symposion 2000 – Mährische Juden in der österreichisch-ungarischen Monarchie (1780–1918), 2001, S. 299ff.; H. Gröger, in: Wegbereiter der Urologie, ed. D. Schultheiss u. a., 2002, S. 1ff. (mit Bild); K. H. Tragl, Chronik der Wiener Krankenanstalten, 2007, s. Reg.; P. P. Figdor, Biographien österreichischer Urologen, 2007, S. 72ff.; K. H. Tragl, Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838, 2011, s. Reg. (mit Bild); HHStA, Josephinum, Pfarre Dornbach, Pfarre Unsere Liebe Frau zu den Schotten, UA (mit Bild), alle Wien.
(F. Moll)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 2, 1954), S. 187f.
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